Entdeckungen im Kolosserbrief Teil 5: Kol. 1, 18-20

Die Christus-Hymne in Kolosser 1, 15-20 zeigt die erhabene und glorreiche Vorrangstellung von Christus im Universum auf. Christus ist der erhöhte Schöpfer von Himmel und Erde; alle sichtbaren und unsichtbaren Kreaturen leben aufgrund Seiner Fähigkeit, sie existieren weil Christus sie erhält und sie leben (wissend oder unwissend, willig oder gegen ihren Willen) für Ihn – der das Zentrum und das Ziel aller Existenz ist.

Der Grund, warum Paulus die erhöhte Natur von Jesus Christus an diese Stelle im Kolosserbrief beschreibt ist, weil er mit der enormen Vorrangstellung von Christus gleichzeitig Seine Genügsamkeit beschreibt, die Gläubigen für ein himmlisches Erbe zu qualifizieren. Der Hauptgedanke des Kolosserbriefes „Gottes Wille ist es durch Christus allein die Glaubenden zu einem gewaltigen Erbe zu qualifizieren“ wird durch die Vorrangstellung von Jesus untermauert.

Die Logik des Paulus funktioniert dabei folgendermassen: Wenn Gott der Vater beabsichtigt, die Vorrangstellung von Christus, die er durch seine Natur und sein Wesen besitzt zu erhöhen und offenbar werden zu lassen, so muss auch die Rolle von Christus, die er in Bezug auf die Rettung der Menschen zu ewigen Leben besitzt, außergewöhnlich exzellent und erhaben sein.

Vielleicht mal ein praktisches Beispiel. Ich bin mit Freude Vater von zwei klasse Kindern im Alter von 6 und 4 Jahren. Gott hat mir das Vorrecht und die herausfordernde Aufgabe übertragen, dass meine Kinder an mir, ihrem irdischen Vater erleben, was die Natur Gottes als fürsorgender Vater ist. Wie lasse ich also meine Kinder erleben, dass Gott fürsorglicher Vater für sie ist, von dem sie freudig und dankend abhängig sind? Wie tue ich dies am besten? Folgender Vorschlag: ich rufe früh den Familienrat zusammenrufe und sage: „also liebe Familie, weil ich nur 30 Stunden die Woche arbeiten will, habe ich entschlossen, dass ich mit meiner Arbeit den Hauptteil der Familienfürsorge übernehme, ihr aber auch euren Teil dazu beitragen müsst. Ab sofort gibt es nach der Schule kein frei mehr und ihr müsst bis zum Abend bei anderen Leuten Rasen mähen, an der Strassenecke Kinderlieder singen oder vor dem Rewe betteln gehen. Es ist einfach nur recht, dass wenn ihr so viel esst, ihr auch dafür mit arbeitet.“ Obwohl ich immer noch den Hauptteil der Versorgung der Familie trage, wird materielle Fürsorge so kaum bei meinen Kindern sichtbar. Alternatives Szenario: meine Kinder haben keine Ahnung, wie unsere Familienfinanzen aussehen – alles was sie erleben, ist dass es immer Essen (zugegebenermaßen zu 98% von der Mama gekocht) gibt, zu Weihnachten und Geburtstag (und auch gelegentlich zwischendurch) Geschenke da sind, coole Klamotten mit Prinzessinnen oder Dinosaurier-Motiven auftauchen und sie einfach eine unbeschwerte sorgenfreie Kindheit erleben. Es ist die einfache Abhängigkeit an die Natur von Vater und Mutter, welches die Exzellenz und Noblesse von väterlicher und mütterlicher Fürsorge deutlich macht.

Zurück zu Christus: Seine erhabene Vorrangstellung impliziert, dass Er allein verantwortlich ist für das unvorstellbare Glück eines himmlischen ewigen Lebens. Paulus argumentiert also so: wenn es Gottes ultimatives Ziel ist, seinen Sohn zu erhöhen, dann kann die Qualifikation zu einem Leben im Himmel kein Gemeinschaftsanstrengung zwischen Jesus und Mensch sein – weil dann auch die Würdigung für das Erreichen gemeinschaftlich geteilt wird. Sondern wenn Gott Seinen bereits hoch erhöhten Sohn erhaben und glorreich darstellen will – dann muss Erlösung zum ewigen Erbe durch das wer Christus ist und was er am Kreuz gemacht hat – vollkommen ausreichen, um Menschen zu ewigen Leben zu qualifizieren.

Aber nun, nachdem wir im letzten blog uns Kolosser 1, 15-17 angesehen haben, weiter im Text mit Kolosser 1, 18-20:

Und er ist das Haupt des Leibes, welches die Gemeinde ist – und er ist der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten, damit er in allem den Vorrang habe; 19 denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen 20 und durch ihn alles mit sich zu versöhnen — indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes —, durch ihn, sei es, was auf der Erde oder was in den Himmeln ist.

Nachdem Paulus in den Versen 15 bis 17 die Vorrangstellung von Christus bezüglich der Schöpfung beschrieben hat, folgt in den Versen 18 bis 20 die als Konsequenz auf seine Vorrangstellung im Universum die Beschreibung Seiner Vorrangstellung in Bezug auf die Neue Schöpfung (also die Existenz einer erlösten Gemeinde mit „Himmelsrecht“). 

Und er ist das Haupt des Leibes, welches die Gemeinde ist…

Das Privileg, Christus als Haupt der Gemeinde, als Haupt unseres Lebens zu haben, ist kaum in Worte zu fassen. Um die Gewichtung dieser Verse zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, wer Christus in Seiner exzellenten und hoch erhöhten Natur ist. Falls wir es schon vergessen habe, noch mal kurz hier daran erinnern. Es ist diese gewaltige Person, welche das Universum geschaffen hat, erhält, und für den das ganze Universum existiert, welcher der Gemeinde als Haupt geschenkt wurde. Haupt bedeutet dabei nicht „Kopf“ im Sinne nur eines Namens oder Titels, ähnlich der Königin Elizabeth, welche nominelles Oberhaupt der Commonwealth ist. Ihr Titel „Queen“ ist nur ein traditioneller Ehrentitel. Wenn es zur täglichen Regentschaft, dem Aufstellen und Durchsetzen von Verordnungen, Gesetzen und Ideen kommt, hat sie darin eine vernachlässigbare oder keine Rolle. Jesus Christus als „Kopf“ der Gemeinde beschreibt aber wesentlich mehr als Inhaber eines Ehrentitels zu sein: seine Beziehung als Kopf zur Gemeinde organisch, lebendig und lebensnotwendig. Er übt in uns eine souveräne Kontrolle als auch eine lebensspendende Kraft durch seinen bleibenden Einfluss und Gegenwart aus. Er herrscht in der Gemeinde. Er ist die Ursache für Leben in der Gemeinde. Er leitet, lenkt, inspiriert, beeinflusst und ist beständige Quelle für alles geistige Leben in der Gemeinde.

Die metaphorische Bedeutung von Kopf in der antiken Welt kann zwei wichtige Gedanken beinhalten. Zum einen (wie eben beschrieben) impliziert Kopf den regierenden Teil des Körpers, der den Körper bestimmt, kontrolliert und das Leben und Bestehen des Körpers verantwortlich ist.Die andere Gedanke, welche bei „Kopf“ kommuniziert werden kann ist die Idee von von Rang und Würde. Beide Ideen werden von Paulus in Kolosser 1, 18 dieser Stelle verschmolzen. Christus nimmt den Ehrenplatz der höchsten Würde in der Gemeinde ein genau deshalb, weil er die Gemeinde in Existenz gebracht hat und durch sein Wirken und Gegenwart erhält und zur Entfaltung bringt.

…und er ist der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten…

Auch beim Wort „Anfang“ haben wir die doppelte Idee von sowohl erhabene Würde und Exzellenz als auch „Gründer, Begründer“ (vgl. Offb. 3, 14; wo Jesus als der Anfang, also der Begründer der Schöpfung beschreiben wird). Die Idee, dass Christus die rechtmäßige Vorrangstellung aufgrund seiner Position und Rolle als Begründer der Gemeinde erhält, ist also auch hier sichtbar.

Sowohl in Beziehung zu Schöpfung (vgl. Vers 15) als auch in Beziehung zur neuen Schöpfung ist Christus der „Erstgeborene“ (Gr.: proototokos). Bereits in den Ausführungen zu Kol. 1, 15-17 haben wir gesehen, dass der Terminus „Erstgeborener“ ein Titel des Ranges ist, besonders in Hinblick auf Psalm 89, 27 LXX: „So will ich auch ihn zum Erstgeborenen (Gr. proototokos) machen – zum höchsten der Könige der Erde.“ Der typische Parallelismus Hebräischer Poesie zeigt schön, was Erstgeborener bedeutet: „Höchster der Könige“ – eine Stellung erhabenen Souveränen Ranges. Dieselbe Nuance finden wir jetzt auch hier in Vers 18, allerdings mit einer zusätzlichen Bedeutung zeitlicher Priorität – allerdings nicht nur im Sinne dass Jesus der erste war, der auferstanden ist (und ewig lebt ohne nochmals zu sterben), sondern aufgrund eines besonderen jüdischen Hintergrundes. Jüdische Theologie aufgrund von Hinweisen aus dem alten Testament (Dan. 12, 1-2) sah die Auferstehung der Toten als ein eschatologisches Geschehnis, also als Höhepunkt des Endes dieser Zeit wie wir sie kennen und als Anfang des Kommen Gottes als ewiger Herrscher. Ein Großteil der Juden glaubte an die Auferstehung der Toten – allerdings erst am Ende der Zeit. Die Auferstehung von Jesus ist nun sozusagen schon der Anfang der generellen Auferstehung die kommen wird. Er hat die Endzeit-Auferstehung initiiert, seine Auferstehung garantiert und stimuliert die Auferstehung der Gläubigen, die kommen wird (1 Kor. 15, 20). In diesem Sinn ist er nicht nur der „erste“, der auferstanden ist, sondern er ist der Begründer der Auferstehung, die kommen wird. Deshalb, weil er der Begründer, der Verursacher deiner Auferstehung ist, ist er der Erstgeborene (Titel des Ranges) aus den Toten.2

…damit er in allem den Vorrang habe…

Hier haben wir jetzt mit der Präposition „damit“ (Gr.: hina) die Absicht Gottes, warum Christus diese exzellente Rolle als einziger Begründer der Auferstehung, des ewigen Lebens, der Existenz der Gemeinde hat: das Ziel Gottes ist es, Christus aufgrund seines erhabenen Wesens in allen Dingen die ihm zustehende Stellung als Erster, Erhabener, Vorrang inne habender zuzuteilen.

…denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen…

Es erscheint zuerst eigenartig, dass eine „Fülle“ eine persönliche Eigenschaft hat, also das Fülle das tut, was eigentlich nur moralisch verantwortliche Personen können: Freude finden. Die Worte des Paulus werden aber schnell klar, wenn man bedenkt, dass „Fülle“ ein Synonym für die Herrlichkeit Gottes ist, also Seine Wesen als exzellenter Gott (Es. 6, 3; Hez. 10, 4; 1 Pet. 1, 8). Obwohl „all die Fülle“ eine sogenannte Tautologie ist (wie zum Beispiel „runde Kurve“, „nasses Wasser“), denn „halbe Fülle“ gibt es wohl nicht, hat Paulus eine berechtigte rhetorische Absicht mit diesen Versen. Die Vorrangstellung von Christus ist gerechtfertigt, weil Er selbst Gott ist: all die Fülle Gottes wohnt in Ihm! Mit „all der Fülle“ wird unmissverständlich klar, dass alles, was Gott ausmacht, vollständig in Christus zu finden ist. Christus ist vollkommen Gott und vollkommen Mensch und all die Eigenschaften Gottes können in Christus auf perfekte Weise gesehen werden. Alle unendlichen Qualitäten, die Gott zu Gott machen, sind in Christus zu finden.

…und durch ihn alles mit sich zu versöhnen — indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes —, durch ihn, sei es, was auf der Erde oder was in den Himmeln ist.

Im letzten Satz der Christus-Hymne wird Jesus als „All-Versöhner“ dargestellt. Aber bevor du mich als Häretiker, der an eine liebevolle Versöhnung aller Menschen mit Gott auch ohne Glaube an das Evangelium, einstufst, lass mich versuchen zu erklären, was Paulus mit diesem Vers meint. Diese Zeilen wurden schon mindestens seit der Zeit des „Kirchenvaters“ Origen dazu benutzt, um die Idee der letztendlich universellen Rettung aller Menschen zu ewigen Leben mit Gott im Himmel zu verbreiten. Warum dies so war und ist, kann man zumindest theoretisch an dieser Stelle nachvollziehen. Das Wort „alles“ (Gr. ta panta) wird in einem Nebensatz eindeutig als „was auf der Erde oder in den Himmeln ist“ erklärt. Wir haben hier also einen alles-einschließenden Merismus, dessen Inhalt sich nicht nur auf eine Gruppe von Menschen beziehen kann (wir sind nicht im Himmel). Auch die Idee, „alles“ auf „geheiligte Menschen“ und „heilige Engel“ zu beziehen, funktioniert nicht, denn heilige Engel benötigen keine Versöhnung. Auch wenn „alle“ oder „alles“ im Neuen Testament nicht immer kategorisch „wirklich alle oder alles“ bedeutet (Kontext macht klar, was „alles“ an der jeweiligen Stelle heisst, hier ist es (auch vom Kontext her) all-inklusive. Jedes Lebewesen sichtbar oder unsichtbar, Mensch oder Dämon ist durch Christus „versöhnt“. Weiterhin wird das Wort „versöhnt“ (Gr. apokatalassoo) im Neuen Testament (bis auf 1 Kor. 7, 11; wo es um eine liebevolle Versöhnung zwischen Ehepartnern handelt), immer verwendet, um die liebevolle Versöhnung zwischen Mensch und Gott zu einer glücklichen Wiederherstellung der Beziehung miteinander zu beschreiben (Kol. 1, 22; Eph. 2, 16; katalassoo auch in Röm. 5, 10;11, 15;  2 Kor. 5, 18; 19). Dieses Dilemma macht deutlich, dass das bei Exegeten oft zitierter Maxim, dass die Bedeutung der Worte bei Paulus auch Briefübergreifend konsistent gleich ist, nicht stimmt. Es sei denn, man schließt sich Origen an und behauptet Paulus beschreibt hier universelle Erlösung.

Diese theoretische universelle Erlösung ist aber mit dem Rest des Neues Testaments nicht vereinbar, welches Nachfolge von Jesus als Kriterium für zukünftige Rettung aufstellt und ewiges Verderben Christus-fremden Menschen voraussagt (z.B. Mat. 25, 31-46; Mar. 9, 45; Joh. 3, 36; Eph. 2, 3; 5, 6; Kol. 1, 23; 1 Thes. 1, 10; 5, 9; 2 Thes. 1, 7-10). Der innere Kontext des Briefes ist entscheidend für die Bestimmung der Bedeutung von katalassoo. Insbesondere in Kapitel 2, Vers 15 zeigt, dass die feindlichen himmlischen Mächte durch das, was Christus am Kreuz getan hat, nicht liebevoll versöhnt wurden, sondern besiegt und unterworfen worden sind: „…er hat die Gewalten und die Mächte völlig entwaffnet und sie öffentlich zur Schau gestellt. In ihm hat er den Triumph über sie gehalten.“ Über den glorreichen und all-umfassenden Sieg von Christus über Satan und seine Dämonen habe ich bereits im blog „Triumph, herrlicher Triumph“ geschrieben.

Der Frieden, den Christus durch sein stellvertretendes Opfer (Kol. 1, 20) erreicht hat, beinhaltet eine kosmische Erneuerung, einen Shalom, welche die ganze Schöpfung erfährt vor allem auch dadurch, dass die ihre feindlich gesinnten Kräfte unter der Herrschaft von Christus unterworfen und befriedet worden sind. Befriedet bedeutet nicht Erlösung, sondern die Unterwerfung von allen Feinden durch Kraft – so dass diese Mächte der erlösten Schöpfung nicht mehr schaden können durch Gericht – dass heisst, dass ein verdammendes Urteil erreicht wurde und der Umsetzung einer erlösten Schöpfung dessen nichts mehr im Weg steht.

Dass Christus diese universelle kosmische Erneuerung mit der Unterwerfung aller Feinde erreicht hat, bestätigt die bereits ausführlich beschriebene Vorrangstellung von Christus. Er ist kein Mini-Erlöser, der teilweise Wiederherstellung bewirken kann. Er ist der über alles Erhöhte, der das Universum mit allen natürlichen und übernatürlichen Lebewesen seiner Herrschaft unterworfen hat. Und genau weil Christus groß, unvorstellbar groß ist, ist Er allein genug, um die gläubigen Kolosser (und alle anderen Glaubenden nach ihnen) zu einer Zukunft im bewussten Genießen der Herrlichkeit Gottes zu qualifizieren.

Wow. Wir lieben dich, unser Herr Jesus Christus.

1 Douglas Moo, „The Letters to the Colossians and Philemon,“The Pillar New Testament Commentary. 2008, 128.
2 Ibid., 129.


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