Für die angeblich klarsten Aussagen über den sogenannten Antichristen wird oft 2 Thessalonicher 2 mit der Beschreibung des Paulus über den Mann der Gesetzlosigkeit aus der „biblischen Quellenkiste“ hervorgekramt.
Es ist scheinbar alles ganz offensichtlich, was gemäß 2 Thes. 2 in der Endzeit da passieren soll:
a) Bevor Jesus wiederkommt, wird der „Mensch der Gesetzlosigkeit“ kommen. Dies ist der Antichrist.
b) Solange der Antichrist nicht da ist, kann Christus nicht wiederkommen.
c) Dieser Antichrist setzt sich in den Tempel Gottes und behauptet von sich, Gott zu sein. Da zur Zeit auf dem ehemaligen Gelände des jüdischen Tempels die Al-Aqsa Moschee steht, wird diese Moschee in der Endzeit abgerissen und ein jüdischer Tempel wieder aufgebaut. In diesem werden Tieropfer wieder eingeführt und in genau diesen Tempel als Schaltzentrale seiner Macht setzt sich der Antichrist, um von dort die Weltherrschaft anzutreten.
d) Der Antichrist verführt die Menschen in der Endzeit mit Zeichen und Wundern.
e) Er wird durch die Wiederkunft von Christus vernichtet werden.
Bevor wir uns 2 Thes. 2 genauer ansehen, lasst es mich gleich zu Anfang sagen: Punkte a – e sind auf eine zu blühende Phantasie einiger „Theologen“ zurückzuführen, die aus 2 Thes. 2 ein heilloses Durcheinander gemacht haben, so dass deren Leser und Hörer zwar lebhafte Endzeitspekulationen indoktriniert bekommen haben, diese aber am Sinn des Textes vollständig vorbeigehen und von der eigentlichen Bedeutung der Intention des Paulus nichts mehr übrig geblieben ist.
Der aufmerksame Leser, der den Kontext von 2 The. 2 beachtet, wird ziemliche Überraschungen erleben, was der Text denn wirklich sagt – nämlich nichts vom sogenannten Antichristen.
Erstens, die Behauptung, dass der beschriebene „Mensch der Gesetzlosigkeit“ der endzeitliche Antichrist ist, ist nichts als eine Behauptung, für die es keine Indizien gibt. Nichts deutet darauf hin, dass die weit verbreitet Methode legitim ist, eine Amalgamierung von verschiedenen Texten vorzunehmen, die keinen Hinweis darauf liefern, dass sie zusammen gehören. Sprich, welches Recht hat denn jemand zu behaupten, dass 2 Thes. 2 von derselben Person wie in 1 Johannes 2, 18 – „dem Antichristen“ – spricht, wenn nichts darauf hinweist, dass „Antichrist“ und „Mann der Gesetzlosigkeit“ dieselben Personen sind. Ganz davon abgesehen, dass Johannes in seiner Korrespondenz nichts über einen endzeitlichen personifizierten Antichristen schreibt (siehe dazu den letzten Blogbeitrag)! Selbst wenn 1 Johannes 2 „den Antichristen der Endzeit“ beschreiben sollte (was er nicht tut), dann spricht einiges im Text dafür, dass der „Mensch der Gesetzlosigkeit“ NICHT dieser Antichrist ist, sondern eine ganz andere Person! Wer diese Person aus 2 Thes. 2 ist, werden wir uns im Folgenden ansehen.
Zweitens, 2 Thes. 2 ist schwieriger zu verstehen, als oft behauptet wird. Manche Exegeten – und das sind mit Sicherheit die besseren Theologen – haben es vorgezogen aufzugeben, die Identität des „Gesetzlosen“ zu bestimmen.
Um überhaupt eine Idee davon zu bekommen, was Paulus in 2 Thes. 2 mit dem „Gesetzlosen“ gemeint haben könnte, der kommen muss, bevor „der Tag des Herrn“ kommt, lohnt es sich, noch einmal anzusehen, was Paulus im vorherigen Brief an die Thessalonicher über das zweite Kommen von Christus geschrieben hat.
Hier der Text von 1 Thes. 4, 13-18:
Wir wollen euch aber, Brüder, nicht in Unkenntnis lassen über die Entschlafenen, damit ihr nicht betrübt seid wie die übrigen, die keine Hoffnung haben. 14 Denn wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist, wird auch Gott ebenso die Entschlafenen durch Jesus mit ihm bringen. 15 Denn dies sagen wir euch in einem Wort des Herrn, daß wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. 16 Denn der Herr selbst wird beim Befehlsruf, bei der Stimme eines Erzengels und bei dem Schall der Posaune Gottes herabkommen vom Himmel, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; 17 danach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein.
Gemäß 1 Thes. 4 gab es unter den Christen in Thessaloniki manche, die sich Sorgen machten, ob einige der Gläubigen, die inzwischen gestorben waren – vielleicht Familienangehörige – die Herrlichkeit der Wiederkunft von Jesus verpassen werden. Sie fragten sich, ob sie diese geliebten Menschen wiedersehen würden, ob diese von der Genialität, einen Auferstehungskörper zu bekommen, ausgeschlossen würden.
Was immer die genauen Sorgen der Christen waren, Paulus beruhigt seine Leser, indem er schreibt, dass die Toten in Christus nichts verpassen werden. Gott wird diejenigen, die als Seelen zwar noch keinen Auferstehungskörper haben, aber schon jetzt Christus in bewusster Gemeinschaft genießen, bei der Wiederkunft von Jesus „mitbringen“ (1 Thes. 4, 14). Diejenigen, die mit Christus bei seiner Wiederkunft „mitgebracht werden,“ werden als erste ihren Auferstehungskörper erhalten: „die Toten in Christus werden zuerst auferstehen“ (1 Thes. 4, 16). Danach werden alle Christen, die physisch bei der Wiederkunft von Jesus lebendig sind, „entrückt“ werden, also in den Himmel zu Christus empor gehoben werden, dass heisst, sie werden im Zuge des „nach oben gehoben werden“ ihren Auferstehungskörper erhalten und mit diesem und zusammen mit den auferstandenen Toten Christus von Angesicht zu Angesicht erleben und für immer bei Ihm sein. Allerdings werden Christen nicht weiter in den Wolken mit Christus schweben, sondern von der Verwendung des Wortes „Ankunft“ (gr. parousia) kann man schließen, dass Paulus die typische Ankunft eines Feldherrn oder siegreichen Kaisers (gr. parousia) im Blick hat, der bei einem Besuch einer Stadt von den Einwohnern „auf halbem Wege“ empfangen wurde und dann von ihnen in die Stadt geleitet wurde.
Deshalb kann Paulus direkt an 1 Thes. 4 anschließen und den „Tag des Herrn“ in 1 Thes. 5 als einen Tag beschreiben, an dem sowohl die Gläubigen Toten auferstehen, als auch an dem Ungläubige „plötzliche Zerstörung“ erleben. Anstelle einer geheimen Entrückung reißt Christus zuerst die Gläubigen hoch zu sich selbst, die dann Christus in dem typischen Bild der griechisch-römischen Ankunft des Herrschers auf die Erde zurück begleiten. Dort wird Christus dann Gericht halten über alle, die Ihn abgelehnt haben. Aber genaueres wäre Material für einen anderen Beitrag.
Zurück zum eigentlichen Ansinnen, nämlich 2 Thes. 2. Dort scheinen die Thessalonicher trotz der klaren Worte des Paulus in 1 Thes. 4 immer noch bedeutende Sinnfragen bezüglich der „Ankunft des Herrn“ (auch hier dasselbe griechische Wort parousia) zu haben. Hier erst einmal der Text:
Wir bitten euch aber, Brüder, wegen der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus und unserer Vereinigung mit ihm, 2 daß ihr euch nicht schnell in eurem Sinn erschüttern laßt noch erschreckt werdet, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief, als kämen sie von uns, als ob der Tag des Herrn da wäre. 3 Laßt euch von niemand auf irgendeine Weise verführen, denn dieser Tag kommt nicht, es sei denn, daß zuerst der Abfall gekommen und der Mensch der Gesetzlosigkeit geoffenbart worden ist, der Sohn des Verderbens; 4 der sich widersetzt und sich überhebt über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich ausweist, daß er Gott sei. 5 Erinnert ihr euch nicht, daß ich dies zu euch sagte, als ich noch bei euch war? 6 Und jetzt wißt ihr, was zurückhält, damit er zu seiner Zeit geoffenbart wird. 7 Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam; nur offenbart es sich nicht, bis der, welcher jetzt zurückhält, aus dem Weg ist; 8 und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, den der Herr Jesus beseitigen wird durch den Hauch seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung seiner Ankunft; 9 ihn, dessen Ankunft gemäß der Wirksamkeit des Satans erfolgt, mit jeder Machttat und mit Zeichen und Wundern der Lüge 10 und mit jedem Betrug der Ungerechtigkeit für die, welche verloren gehen, dafür, daß sie die Liebe der Wahrheit zu ihrer Errettung nicht angenommen haben. 11 Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrwahns, daß sie der Lüge glauben, 12 damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit.
Die Thessalonicher haben also von einer Irrlehre (welche sie noch nicht als Irrlehre erkannt haben) gehört, dass die „Ankunft des Herrn“ schon passiert sei.1 Diese Irrlehre wurde in Schriftform, als Prophetie und Lehre verbreitet, als käme sie direkt von Paulus. Nun gibt es zwei Möglichkeiten zu verstehen, was denn genau in Thessaloniki passiert ist und was genau die Irrlehrer behauptet haben, wie die „Ankunft“ des Herrn bereits passiert sei.
Die Thessalonicher wurden bei der Entrückung einfach vergessen
Erstens, ein theoretisch mögliches Szenario, welches die Hintergründe von 2 Thes. 2 erklärt, ist, dass die falschen Lehrer behauptet haben, dass die Thessalonicher einfach zurückgelassen wurden, als Christus wiederkam (gr. parousia) und andere Christen „heimlich“ von Christus entrückt wurden. Grund dafür war vielleicht, dass die Thessalonicher nicht geistlich genug waren oder gar keine echten Christen waren.
Wie auch immer, es spricht so viel gegen diese Theorie, dass sie fast unmöglich der reale Hintergrund der Begebenheiten in 2 Thes. 2 sein kann.
– Zum Einen sprechen alle Indizien in der Kommunikation des Paulus mit den Thessalonichern dafür, dass die „Ankunft des Herrn“ sowohl die Entrückung der Heiligen als auch eine sichtbare Wiederkunft für alle Ungläubigen ist (siehe oben und 2 Thes. 1, 5-10).
– Desweiteren stell dir einmal vor, wie es ausgesehen haben muss, dass eine Botschaft verbreitet wird, die angeblich von Paulus kommt, in der vermittelt wird „es ist schon vorbei, Jesus kam schon wieder, wer noch hier ist, hat es verpasst.“ Es bedeutet, dass nicht nur den Thessalonichern glaubhaft gemacht werden soll, dass sie Jesus und seine Entrückung verpasst haben, sondern dass ebenfalls Paulus und alle seine Mitarbeiter (siehe „von uns“ in 2 Thes. 2, 2) beim Kommen von Jesus ‚vergessen‘ wurden. Paulus kann ja nur schreiben „der Tag des Herrn war da,“ wenn Paulus nach der Entrückung selbst noch lebendig auf der Erde ist und – als ob für ihn nichts passiert wäre – jetzt weiter Briefe schreibt. Wenn es schon absolut unwahrscheinlich ist, dass Jesus bei seinem Wiederkommen die Thessalonicher allesamt auslässt, ist es jenseits der Vernunft zu behaupten, dass die falschen Lehrer es geschafft haben, den Thessalonichern weiszumachen („im Sinn erschüttert und erschreckt“ 2 Thes. 2, 2) dass Paulus, nachdem er voller Erwartung vom Kommen Christi in 1 Thes. 4 geschrieben hat, nur wenige Zeit später das Kommen von Jesus selbst verpasst hat.
– Weiterhin muss man bei dieser Theorie festhalten, dass nicht nur die Thessalonicher, nicht nur Paulus, sondern auch die falschen Lehrer von sich selbst behauptet haben müssen, dass sie „vergessen wurden.“ Wenn die Thessalonicher die Entrückung verpasst haben, dann auch die Irrlehrer, welche diese Theorie verbreiten. Ist es vernünftig anzunehmen, dass Menschen sich eine Lehre ausdenken und diese verbreiten, dass alle, sie eingeschlossen, das wichtigste Ereignis, die größte Hoffnung der Christen, verschlafen haben?
– Wenn Paulus eine Lehre berichtigen will, die beinhaltet, dass die Thessalonicher die Entrückung verpasst haben, hätte er dann in 12 Versen über das Timing der Entrückung und was vorher geschehen muss geschrieben? Das ganze Argument von 2 Thes. 2 hätte auf eine einfache Frage reduziert werden können: „Seid ihr noch da?“2 Wenn die Thessalonicher wirklich beunruhigt gewesen wäre, dass sie die Wiederkunft von Jesus und die Entrückung verpasst haben, dann hätte Paulus einfach nur schreiben müssen: „ihr Lieben, denkt an 1 Thes. 4, kneift euch mal und guckt mal, ob ihr noch hier oder schon in der neuen Welt im Angesicht von Christus seid?!“
Das Kommen von Jesus und die Entrückung ist nicht körperlich, sondern von geistlicher Natur
Zweitens ist es theoretisch vorstellbar, dass die falschen Lehrer behauptet haben, dass das Kommen von Jesus in einem geistlichen Sinn passiert ist, also entweder durch das Kommen in der Person des Heiligen Geistes zu Pfingsten oder in Form einer „geistlichen“ Auferstehung der Gläubigen in einen neuen Bewusstseinsstatus. Das zweite Kommen von Jesus war demnach eine geistliche Realität, welche die religiöse Überlegenheit oder den triumphalen Charakter des Christseins hervor heben wollte.
Auch diese Theorie hat so viele Schwierigkeiten, dass es unvorstellbar ist, dass sie zu den sonstigen Aussagen des Paulus in 2 Thes. 2 passt.
– Wenn eine falsche Lehre bei den Thessalonichern die Runde macht, welche die Wiederkunft von Jesus als eine geistliche Realität definiert, hätte Paulus wirklich geschrieben „Erinnert ihr euch nicht daran, als ich bei euch war, dass dieser Tag des Herrn erst kommt, nachdem der Mensch der Gesetzlosigkeit offenbar geworden ist?“ Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Paulus bei einer solch dramatischen inhaltlichen Irrlehre über die Art der Parousia ausschließlich das Timing dieser Parousia korrigiert! Wenn die falschen Lehrer eine geistliche Parousia verkündigt haben und Paulus antwortet, dass diese Lehrer nicht recht haben können, dass die geistliche Parousia schon passiert ist, weil der „Mensch der Gesetzlosigkeit“ sich noch nicht offenbart hat, dann hört man ja die Thessalonicher schon förmlich raunen „OK, also stimmt Paulus mit der Lehre überein, dass die Parousia geistlicher Natur ist, nur ist diese geistliche Parousia nicht schon passiert, sondern passiert noch!“
Wenn die falschen Lehrer eine geistliche Natur der Wiederkunft von Jesus predigten, hätte Paulus nicht sofort und energisch diese Vergeistigung berichtet, indem er wiederholt hätte, dass das Kommen von Jesus persönlich, körperlich, sichtbar ist und zu einer physischen Auferstehung der Gläubigen führt? Ausschließliche Kommentare zum Timing mussten ja die Thessalonicher in der Überzeugung gelassen haben, dass sie zwar bezüglich der Zeit in die Irre geführt wurden, aber die geistliche Natur der Parousia durchaus richtig wiedergegeben wurde – schließlich widerspricht ja Paulus einer geistlichen Wiederkunft und Entrückung in keinem Wort.
Das Kommen von Jesus in 2 Thes. 2 ist ein anderes Kommen als Seine physische Wiederkunft
Da es sonst weiter keine Optionen gibt, welche Art der falschen Lehre in Thessaloniki verbreitet wurde und wie diese zu den Aussagen des Paulus passt, sehe ich momentan nur die Möglichkeit, den Text sprachlich noch einmal zu untersuchen und eine dritte Möglichkeit vorzuschlagen, welche ein anderes linguistisches Verständnis von „Ankunft unseres Herrn“ beinhaltet als die zweite Wiederkunft von Jesus. Auch diese Option ist nicht ohne Herausforderungen, insbesondere in Anbetracht dessen, dass Paulus bereits die Redewendung „Tag des Herrn“ und „Ankunft unseres Herrn“ in 1 Thes. 4 für die zweite Wiederkunft von Jesus verwendet hat. Aber angesichts des Fehlens anderer plausibler Möglichkeiten und der Anführung guter Argumente, welche dafür sprechen, dass in 2 Thes. 2 Paulus mit parousia etwas anderes als das zweite Kommen von Jesus bezeichnet, sehe ich dies augeblicklich als das am wahrscheinlichsten vom Text beschriebenen Szenario an.
Das Kommen von Jesus (gr. parousia) muss sich nicht in jedem Fall auf die Wiederkunft von Jesus am Ende der Zeit beziehen
Ich glaube, es tut der biblischen Interpretation gut, sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass Paulus bei der Verwendung seiner Worte „technische Terminologie“ einführt, in welcher ein Wort immer für ein und dieselbe Sache steht.3
Paulus schreibt in der Umgangssprache seiner Zeit und bezieht sich in der Bedeutung seiner Wort darauf, wie diese Worte in seiner Zeit verstanden wurden – was genau er damit meint, kann je nach Kontext verschieden sein. Bleiben wir bei dem Wort parousia. Die Bedeutung des Wortes ist vielfältig und kann im umgangssprachlichen Griechisch der damaligen Zeit einen einfachen Besuch, die Idee ‚da zu sein,‘ das Kommen in Gericht, das ‚technische‘ Kommen eines Militärgenerals, und viele andere Dinge mehr bedeuten. Welcher dieser Bedeutungen das Wort annimmt, hängt vom Kontext ab. So wird Paulus in 1 Kor. 16, 17 wohl kaum eine zweite Wiederkunft oder das triumphale Kommen eines Feldherren beabsichtigt haben, wenn er schreibt „Ich freue mich aber über die Ankunft (gr. parousia) des Stephanus und Fortunatus und Achaikus, denn diese haben eure Abwesenheit ersetzt.“4 Auch in Phil. 1, 26 will sich Paulus sicher nicht als zweiter Messias darstellen, wenn er den Philippen schreibt „dass eure Freude überströme bei meiner Rückkehr (gr. parousia) zu euch.“ Parousia heißt erst einmal nur Ankunft, Kommen oder Gegenwart, was für eine Art des Kommens oder der Ankunft im Blick ist, muss der direkte Kontext entscheiden.
Auch in unserer Zeit verwenden wir das Wort „Kommen“ auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Wenn wir als Gemeinde letzte Woche gebetet haben Maranatha, „Komm, Herr Jesus“ (1 Kor. 16, 22), dann haben wir mit Sicherheit unser Verlangen danach ausgedrückt, dass wir uns danach sehnen, dass Christus wiederkommt und wir mit Ihm zusammen sein werden. Eine Woche später beten wir für Kranke und beten „Komm, Herr Jesus mit Kraft“ und wollen aber dabei nicht das Wiederkommen von Christus zum Ausdruck bringen, sondern dass Jesus (noch bevor er wiederkommt) eingreift und den Kranken in der Gemeinde Heilung schenkt.
Es ist deshalb völlig legitim, die Möglichkeit offen zu halten, dass Paulus in 2 Thes. 2 gar nicht vom zweiten Kommen von Jesus spricht, sondern von einer ganz anderen Art des Kommens. Was dies ist, bleibt noch festzustellen.
„Unsere Vereinigung mit Ihm“ beschreibt etwas anderes als das „so werden wir immer mit ihm sein“ aus 1 Thes. 4
Auch wenn es für den Leser im 21. Jahrhundert fast unumgänglich scheint, dass Paulus mit der Bezeichnung „und unsere Vereinigung mit ihm“ die intime Gemeinschaft der Christen nach der Entrückung bezeichnet, hat dieses Wort durchaus andere Nuancen für Hörer im ersten Jahrhundert. Das einzige andere Mal, wo „Vereinigung“ (gr. episunagoge) im Neuen Testament erscheint, ist in Hebr. 10, 25, wo der Autor mit den Worten „lasst uns unser Zusammenkommen (gr. episunagoge) nicht versäumen“ kein himmlisches Treffen mit Christus beschreibt, sondern das Treffen von Christen in einer irdischen Gemeinschaft. Die Verbform (gr. episunagogeen) des Substantivs „Vereinigung“ (gr. episunagoge) findet man zum Beispiel in Matt. 23, 37 („Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt“). Die Idee des Zusammenkommens ist dabei ein irdisches Treffen von Menschen, keine Entrückung in den Himmel. Insbesondere in Anbetracht der Zerstreuung des Volkes Gottes im Exil und der Verheißung, dass Gott sein Volk mit dem Kommen des Messias wieder sammeln wird (siehe z.B. Jes. 11, 11; 27, 13; 56, 8) kommt die Idee des „Zusammenkommen“ in Matt. 23, 37 und Hebr. 10, 25 in Form einer Zusammenführung des Volkes Gottes aus dem Exil hin zu einer Beziehung zu Gott näher als der Idee, mit Gott im Himmel versammelt zu werden. Das verwandte Wort sunagoo, von dem das Wort Synagoge abgeleitet ist, wird ebenfalls von Jesus verwendet, um zu verdeutlichen, dass er diejenigen „zusammen sammelt“ (gr. sunagoo), die durch Seine Person und Sein Wirken das Ende des Exils erleben und zurück zu einer Beziehung mit Gott und in Gottes versammeltes Volk kommen (Matt. 12, 30 „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut.“)
Menschen im ersten Jahrhundert, und besonders Menschen mit jüdischem Hintergrund wie die Thessalonicher, hören also im Ausdruck „unsere Vereinigung/ unsere Versammlung mit Ihm“ (gr. episunagoge) nicht die Idee eines Treffens mit Jesus im Himmel, sondern ein „horizontales“ Zusammenkommen von Christen hier auf der Erde! Die Idee, dass Paulus ein Sammeln von Christen, das heißt ein vermehrtes „zu Christus“ kommen durch Evangelisation, beschreibt, ist aufgrund der lexikalischen Verwendung des Wortes im Neuen Testament wesentlich wahrscheinlicher als ein Zusammentreffen mit Christus in himmlischen Sphären.
Es ist schon verwunderlich, warum Paulus ausgerechnet das Wort sammeln (gr. episunagoge) in 2 Thes. 2 verwendet, wenn er hier dasselbe Ereignis des Treffens mit Christus in den Wolken aus 1 Thes. 4 beschreiben wollte. Er hätte jedes Missverständnis leicht vermeiden können, wenn er geschrieben hätte, „bezüglich der Ankunft unseres Herrn und unseres Entrückt-Werdens zu Ihm (gr. harpazoo).“ Hat er aber nicht. Könnte es sein, dass er dies absichtlich gemacht hat, weil er in 2 Thes. 2 ein völlig anderes Ereignis beschreibt, als in 1 Thes. 4?5
Wenn 2 Thes. 2 nicht die Wiederkunft von Jesus am Ende der Zeit beschreibt, welches Ereignis beschreibt Paulus dann?
Ein alternativer Vorschlag für das Kommen des Herrn, den Tag des Herrn und der Vereinigung mit Ihm
Ein alternative Möglichkeit, was Paulus mit dem „Kommen des Herrn“ in 2 Thes. 2 gemeint haben könnte, eröffnet sich uns aufgrund dessen, dass Jesus selbst von seinem „Kommen“ in einem anderen Kontext als seine Wiederkunft in Herrlichkeit am Ende der Zeit gesprochen hat. Als er vom Hohepriester bei seiner Vernehmung gefragt wird, ob er der Messias sei, antwortet Jesus dem Kaiphas „Du hast es gesagt. Doch ich sage euch: Von nun an werdet ihr den Sohn des Menschen sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen auf den Wolken des Himmels“ (Matt. 26, 64). Jesus nimmt für sich den Titel „Messias“ in seiner Antwort in Anspruch, aber nicht indem er einfach nur „Ja“ sagt, sondern indem er eine messianische Prophetie aus Dan. 7, 13-14 auf sich selbst bezieht:
Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn. 14 Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum ist eins, dass nicht zerstört wird.
Das Kommen von Jesus, welches er vor Kaiphas zitiert, ist nicht ein Zurückkommen auf die Erde am Ende der Zeit, sondern ein Kommen zu Gott, um von Ihm Macht und Autorität über die Nationen der Erde zu erhalten. Wenn Jesus also zum jüdischen Hoherat sagt, dass sie Ihn „kommen sehen werden auf den Wolken des Himmels,“ dann beschreibt Jesus nicht sein „auf den Wolken surfen in Richtung Erde,“ sondern Seine göttliche (symbolisiert durch Wolke (siehe Ex. 16, 19; 19, 9)) Macht, die er von Gott dem Vater zur Regentschaft der Nationen erhält. Gleichzeitig enthält die Aussage von Jesus vor dem Hoherat eine Drohung. In Daniel erhält der ‚Sohn des Menschen‘ nicht nur Macht über die Nationen, damit er Sein Volk zu dessen Wohl regiere, sondern auch um Seine Feinde zu vernichten (Dan. 7, 11-12; 2, 34-35, 44-45). Jesus droht also den Machthabern Israels bei Seiner Verhörung, dass sie es erleben werden, dass Er von Gott Macht und Autorität als Messias über die Nationen bekommen wird und diese Autorität benutzen wird um seine Feinde (sprich u.a. diejenigen, die ihn jetzt verhören) zu vernichten.
Dieselbe Drohung, welche die Zerstörung Jerusalems beinhaltet (Matt. 24, 2), hat Jesus schon seinen Jüngern in Matt. 24, 30 erzählt:
Und dann wird erscheinen das ‚Zeichen des Sohnes des Menschen am Himmel‘; und dann werden wehklagen alle Stämme des Landes, und sie werden den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit.
„Sohn des Menschen am Himmel“ und „Sohn des Menschen kommen auf den Wolken des Himmels“ ist ebenfalls ein Zitat aus Dan. 7, 13-14 und beschreibt ebenfalls nicht die Wiederkunft von Jesus, sondern ein Kommen in Gericht, aufgrund dessen, dass Christus von Gott dem Vater Macht und Autorität erhalten hat.6
Das „Kommen von Jesus“ in Matt. 24, 30 und Matt. 26, 64 beschreibt ein Kommen von Christus im Gericht über die Nation Israels im Jahr 70 n.Chr. Die Zerstörung des Tempels, Jerusalems und Judäas durch die römischen Legionen ist nach den Worten von Jesus das direkte Wirken des ‚Sohnes der Menschen,‘ der von Gott Autorität und Macht erhalten hat. Eines der stärksten Indizien, dass Jesus wirklich der Messias ist, ist die von ihm angekündigte Zerstörung Jerusalems. Diese Zerstörung in einem kriegerischem Akt wird von Christus als „Sein Kommen“ bezeichnet.
Könnte Paulus in 2 Thes. 2 mit der Beschreibung „Ankunft/ Kommen unseres Herrn“ (gr. parousia) dasselbe Ereignis des Kommens von Jesus in Gericht in Form der Zerstörung Jerusalems gemeint haben?
Die Indizien sprechen in der Tat dafür! Beachte, dass das direkte Resultat des „Kommens unseres Herrn Jesus Christus“ in 2 Thes. 2, 1 das „Sammeln zu Ihm“ ist, genau wie in Matt. 24, 30-31. Dort ist das Resultat dessen, dass der „Sohn des Menschen kommen wird auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit,“ das Sammeln von Christen in Evangelisation, welches in folgenden Worten beschrieben wird: „Und er wird seine Botschafter aussenden mit starkem Posaunenschall, und sie werden seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von dem einen Ende der Himmel bis zu ihrem anderen Ende.“7 Und auch der „Tag des Herrn“ wird in Matt. 24, 29-31 beschrieben, und zwar mit der prophetischen Typologie aus dem Alten Testament über den „Tag des Herrn“: „die Sonne verfinstert werden und der Mond seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden“ (Matt. 24, 29). Dass diese kosmologische Beschreibungen Ausdruck von Kriegsgeschehen auf der Erde sind, welche als „Tag des HERRN“ im Alten Testament beschrieben sind, haben wir schon in der Anführung von Jes. 13, 9-10 gesehen, in welcher Gericht über Babylon in Form von militärischer Eroberung im 6. Jahrhundert vor Christus beschreiben ist: „Siehe, der Tag des HERRN kommt, grausam mit Grimm und Zornglut, um die Erde zur Wüste zu machen; und ihre Sünder wird er von ihr austilgen. Denn die Sterne des Himmels und seine Sternbilder werden ihr Licht nicht leuchten lassen. Die Sonne wird finster sein bei ihrem Aufgang, und der Mond wird sein Licht nicht scheinen lassen.“
Auch bei der Verwendung des alttestamentlichen Konzeptes des „Tag des HERRN“ sehen wir, dass die neutestamentlichen Schreiber mehrere Ereignisse als „Tag des Herrn“ beschreiben konnten. Zum einen ist das temporäre Gericht über Jerusalem in 70 n.Chr. der „Tag des Herrn,“ als auch das zukünftige Kommen von Christus als Richter der Welt wird als „Tag des Herrn“ (2 Petr. 3, 10) bezeichnet.
Wir sehen also alle drei Elemente, die Paulus in 2 Thes. 2 als Beschreibung des „Kommens von Christus“ verwendet, ebenso in Matt. 24, 29-31 beschrieben.
– „Kommen unseres Herrn“ (2 Thes. 2, 1) = „Sohn des Menschen kommt auf Wolken des Himmels“ (Matt. 24, 30)
– „Sammlung mit Christus“ (2 Thes. 2, 1) = „Sammlung der Auserwählten von den vier Enden der Erde“ (Matt. 24, 31)
– „Tag des Herrn“ (2 Thes. 2, 2 = „Sonne, Mond und Sterne werden nicht mehr scheinen“ (Matt. 24, 29)
Da Matthäus 24, 29-31 das Kommen von Christus in Form von einer öffentlichen Machtdemonstration darstellt, nämlich, dass er gemäß Dan. 7 vom Gott dem Vater Macht, Autorität über die Nationen erhalten hat und diese benutzt, um das Reich Seiner Feinde zu stürzen, ist es nur logisch anzunehmen, dass wenn in 2 Thes. 2 dieselbe prophetische Sprache und Symbolik verwendet wird, dasselbe Ereignis beschrieben wird.
War war los in Thessaloniki?
Demnach waren die Thessalonicher nicht irritiert, dass sie die Wiederkunft von Jesus verpasst haben, sondern ein ganz anderes Ereignis war der Hintergrund ihrer Sorgen, welches sie angeblich verpasst haben. Man muss daran denken, dass die Christen in Thessaloniki gleich von Anbeginn an intensiv von der jüdischen Synagoge vor Ort verfolgt wurden (Apg. 17, 5-9; 1 Thes. 1, 6, 14-16, 2 Thes. 1, 6). Es ist beachtlich, dass Paulus diese Verfolgung der Thessalonicher von der jüdischen Gemeinschaft in Thessaloniki explizit mit der Verfolgung der Christen in Judäa in Verbindung bringt: „Denn, Brüder, ihr seid Nachahmer der Gemeinden Gottes geworden, die in Judäa sind in Christus Jesus, weil auch ihr dasselbe von den eigenen Landsleuten erlitten habt, wie auch sie von den Juden, 15 die sowohl den Herrn Jesus als auch die Propheten getötet und uns verfolgt haben und Gott nicht gefallen und allen Menschen feindlich sind, 16 indem sie — um ihr Sündenmaß stets voll zu machen — uns wehren, zu den Nationen zu reden, damit die errettet werden; aber der Zorn ist endgültig über sie gekommen.“
Es ist sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass Paulus den Thessalonicher in Anbetracht ihrer Verfolgung davon erzählt hat, dass ihre Mitbürger und Glaubensbrüder in Judäa ähnliche Verfolgung erleiden (Matt. 24, 9-11), dass aber die Verfolgung der Christen durch die Juden eine bedeutende Wendung nehmen wird. Denn Christus Seine Macht öffentlich demonstrieren, indem Er einen „Tag des Herrn“ über Jerusalem bringen wird und der Umsturz des ganzen jüdischen Herrschaftssystems durch die Zerstörung des Tempels und Jerusalems bevor steht (Matt. 24, 15-35). Der „Tag des Herrn“ und das „Kommen des Herrn auf den Wolken“ (Dan. 7) bedeutet Zerstörung der Verfolger in Jerusalem (Matt. 24, 30) und konsequenterweise eine neue Welle der Ausbreitung des Evangeliums aufgrund neuer Freiheiten, für Christus einzustehen, ohne von den jüdischen Gegnern verfolgt zu werden (Matt. 24, 31). Diesen „Tag des Herrn“ sehnten sich die Christen in Thessaloniki herbei, denn er bedeutet auch für sie eine Erlösung von Verfolgung durch die Juden vor Ort und neue Perspektiven für die Verkündigung des Evangeliums ohne Verfolgung.
Die Thessalonicher hatten also von Paulus gehört, dass Jesus vor Kaiphas gesagt hat, dass die damals gegenwärtige Generation von ungläubigen Juden sehen wird, dass er der Messias ist – in Form einer Machterweisung, dass er von Gott dem Vater Autorität und Herrschaft erhalten hat (Matt. 26, 64 cf. Dan. 7). Sie hatten von ihrem Apostel gehört, dass Jesus Seinen Jüngern ebenfalls eine für alle offensichtliche Machtdemonstration versprochen hat (Matt. 24). Diese Demonstration der von Gott erhaltenen Macht beschrieb Jesus mit den Worten aus Daniel und Jesaja „Kommen mit Wolken“ und „Tag des Herrn.“
Was die Thessalonicher jetzt völlig aus der Bahn geworfen hat, war, dass sie eine gewisse (gerechtfertigte, wenn auch vage) Erwartung daran hatten, wie denn der „Tag des Kommens des Herrn in einer Machtdemonstration“ aussehen würde. Und jetzt war nichts passiert und die Botschaft machte die Runde, dass der von Paulus verheißene Tag schon Geschichte war. Die Thessalonicher waren aber immer noch verfolgt, und in Judäa und in der Diaspora in Griechenland hatten immer noch anti-christliche Juden die Oberhand und nutzen diese, um Christen in ernste Schwierigkeiten zu bringen. Der angeblich gekommene Tag des Herrn verstrich in den Augen der Thessalonicher, ohne dass es offensichtlich wurde, dass Christus der Messias mit Macht über die Nationen ist und ohne dass es eine Linderung der Verfolgung gab. Dieser Angst begegnet Paulus, indem er schreibt, dass der Tag des „Kommens von Christus gemäß Daniel 7“ noch nicht passiert sein kann, da die Zeichen, welche diesem Kommen vorangehen, ebenfalls noch nicht passiert sind. Diese Zeichen hatte Paulus – neben dem Tag des kommenden Herrn – ebenfalls schon bei seinem Besuch in Thessaloniki erwähnt (2 Thes. 2, 5), aber die Thessalonicher hatten sie vergessen.
Dieses mögliche Szenario des Hintergrundes von 2 Thes. 2 erhält eine wesentliche Bestätigung darin, dass jetzt eine Harmonisierung statt finden kann, dass auf der einen Seite zwar Christus unmissverständlich und unumkehrbar lehrte, dass es KEINE (!!!) Zeichen Seiner Wiederkunft am Ende der Welt geben wird (Matt. 24, 36-44 und siehe „Wie nah sind wir an der Endzeit“) UND Paulus gleichzeitig ein klares und deutliches Zeichen (die Erscheinung des Menschen der Gesetzlosigkeit) für das „Kommen von Christus“ den Thessalonichern verrät. Entweder ist Paulus schlauer als Jesus oder er spricht in 2 Thes. 2 eben von einem ganz anderem Ereignis als von der Wiederkunft von Christus!
Die Frage ist nicht, wer wird der Antichrist sein, sondern wer war er?
Was hat dies alles jetzt mit „unserem Antichristen“ zu tun? Die logische Schlussfolgerung ist leicht nachvollziehbar:
Wenn der „Tag des Herrn,“ „das Kommen unseres Herrn Jesus Christus“ in Thes. 2, 1-2 sich auf die Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. bezieht, so muss der „Mann der Gesetzlosigkeit“ in 2 Thes. 2, 3-10 (den wir fälschlicherweise als den Antichristen bezeichnen) schon vor 70 n.Chr. existiert haben und fast zweitausend Jahre tot sein! Wenn der „Mann der Gesetzlosigkeit“ das definitive Zeichen VOR der Zerstörung Jerusalems ist, dann war dieser Mann schon da und ist inzwischen Geschichte!
„Unser Antichrist“ aus 2 Thes. 2 ist demnach keine politische Figur, dessen Kommen es noch abzuwarten gilt, sondern „der Mann der Gesetzlosigkeit“ kam, war da, ging unter und kommt nicht wieder! Aus der Traum und allen Spekulationen, wer der Antichrist wohl sein werden wird. Das einzige, was 2 Thes. 2 zulässt, sind Spekulationen, wer er war! Aus ist die Idee von einem Tempel, der wiederaufgebaut wird (2 Thes. 2, 4) und nicht haltbar sind alle weiteren Fiktionen, die ein Endzeit-Szenario aus 2 Thes. 2 machen wollen.
Soweit meine These, was 2 Thes. 2 über den „endzeitlichen Antichrist“ sagt – nichts! Wie klar dies von der weiteren Argumentation des Paulus in seinem Brief an die Thessalonicher ist, möchte ich dem Leser in der Fortsetzung nahe bringen.
1 „Als ob der Tag des Herrn ‚da wäre'(gr. hesteeken)“ ist in der Form eines aktiven Perfekt, dass heisst, es beschreibt eine Begebenheit in der Vergangenheit mit Auswirkungen in die Zukunft. Es ist also klar die Idee ausgedrückt, dass der Tag des Herrn schon gekommen ist.
2 Keith Mathison,Postmillenialism.. 1999, 229.
3 Siehe dazu Donald A. Carson,Stolpersteine der Schriftauslegung.. 2007, 43-45.
4 Siehe auch 2 Kor. 7, 6.
5 Gary DeMar, Last Days Madness.. 1994, 318-22.
6 In Matt. 24, 4-35 beantwortet Jesus die Frage, was die Zeichen sein werden, welche die Zerstörung Jerusalems ankündigen, von Matt. 24, 36 an beantwortet Jesus die Frage, was das Zeichen seiner zweiten Kommens in Herrlichkeit am Ende der Zeitalter sein wird. Für die Zerstörung Jerusalems gibt es Zeichen, für seine Wiederkunft gibt es keine, sie wird völlig unerwartet statt finden. Der Leser sollte sich nicht von der Dramaturgie der Beschreibung verleiten lassen, dass die in kosmischer Terminologie beschriebenen Ereignisse z.B. in Matt. 24, 29 „Aber gleich nach der Drangsal jener Tage wird die Sonne verfinstert werden und der Mond seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden.“ wortwörtlich kosmologisch so in Erfüllung kommen. Jesus spricht in Matt. 24 in typisch prophetischem Vokabular, in welchem kosmologische Ereignisse symbolisch für Kriegsgeschehnisse auf der Erde verwendet werden. Siehe z.B. Jes. 13, 9-10, wo Gericht über Babylon im 6. Jahrhundert vor Christus mit den Worten beschreiben wird: „Siehe, der Tag des HERRN kommt, grausam mit Grimm und Zornglut, um die Erde zur Wüste zu machen; und ihre Sünder wird er von ihr austilgen. 10 Denn die Sterne des Himmels und seine Sternbilder werden ihr Licht nicht leuchten lassen. Die Sonne wird finster sein bei ihrem Aufgang, und der Mond wird sein Licht nicht scheinen lassen.“ Die militärische Vernichtung Edoms wird in Es. 34, 4-5 mit den Worten beschrieben „Und alles Heer der Himmel zergeht. Und die Himmel werden zusammengerollt wie eine Buchrolle. Und ihr gesamtes Heer verwelkt wie das Laub am Weinstock verwelkt und wie Welkes am Feigenbaum. Denn trunken ist im Himmel mein Schwert. Siehe, auf Edom fährt es herab und auf das Volk meines Bannes zum Gericht.“ Die Kosmischen Phänomene in Matt. 24, 36 beschrieben die Zerstörung Jerusalems durch die Römische Armee 70 n.Chr. in typischer prophetischer Sprache des Alten Testaments.
7 Es ist allerdings anzumerken, dass Jesus in Matt. 24, 30 und 26, 64 das Griechische Wort erchomai verwendet, in 2 Thes. 2 allerdings parousia. Die beiden Worte können jedoch als Synonym verwendet werden, denn z.B. in 2 Thes. 1, 10 verwendet Paulus erchomai für das 2. Kommen von Christus, während in 1 Thes. 4, 15 parousia benutzt wird.
7 Der Posaunenschall ist nicht die Kriegstrompete, welche in 1 Thes. 4 bei der Wiederkunft von Christus geblasen wird, sondern die Trompete, welche das Jubeljahr ankündigt (3 Mose 25, 9). Jesus spricht davon, dass mit Seinem Kommen in Gericht über Jerusalem gleichzeitig das ultimative Jubeljahr anbricht, in welchem alle Nationen zur Freiheit und Entlassem ihrer Schuld gerufen werden. Dass Jesus in Matt. 24, 30-31 ein Ereignis anspricht, welches im ersten Jahrhundert in Erfüllung gegangen ist, ist daran erkenntlich, dass er die Ereignisse von Matt. 24, 4-33 zusammenfasst und als garantiert innerhalb der generation, die Jesus zuhört (gr. Genua autee) (siehe Matt. 11, 16; 12, 41; 12, 45; 23, 36) als geschehen ansieht. Der Tag seiner Wiederkunft klar von den Ereignissen in Matt. 24, 4-33 als „jener Tag“ (gr. heemera eikenee), also ein Tag im Kontrast zu den beschriebenen Ereignissen markiert.
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