Es ist eine offensichtliche Tatsache dass Menschen, die glauben, dass Gott heilt, mehr für Heilungen beten und weit mehr Heilungen erleben als Menschen, die nicht an Heilung glauben. Wenn unsere Grundannahme ist, dass jede Krankheit von „Gott verordnet“ ist, die es gilt, geduldig zu ertragen, wird mit größter Wahrscheinlichkeit Enthusiasmus für Gebet um Heilung nicht vom Himmel fallen. Vielleicht ist es gerade die Entschlossenheit, nicht vor Umständen zu kapitulieren, als wären diese immer „schicksalshaft als von Gott unverrückbar gewollt“ (vgl. „diese Tochter Abrahams ist 18 Jahre von Satan gebunden gewesen“ (Lukas 13, 16)), welche Glaube im Gebet für Heilung hervorruft. Es gibt eben einen großen Unterschied zwischen göttlicher Souveränität und resignierendem Fatalismus. Gott ist souverän und nichts geschieht, was er nicht will (Ps. 115, 3). Aber Vertrauen in die Souveränität Gottes bedeutet auch zu glauben, dass es sein kann, dass in dem Moment, wo ich für jemand kranken bete, Gott mein Gebet für Heilung souverän bestimmen hat, um Seinen souveränen Willen der Heilung zustande zu bringen.
Praktisch sollten wir mit der Überzeugung leben, dass Gott übernatürlich heilen kann und will (siehe letzter blog). Es ist unsere Pflicht in jedem Fall alles das zu tun, was Gott verordnet hat, damit Er heilen kann (Gehorsam, Gebet, Glauben, Ausübung der Gaben, etc.). Es ist weder notwendig vor jedem Gebet, Gott zu fragen, ob er diese Person heilen will, noch ein religiös respektvolles „wenn es dein Wille ist“ dem eigentlichen Gebet voranzustellen oder damit die Fürbitte beenden. Bei jedem anderen Gebet um Versorgung, Führung, Weisheit, etc. benutzen wir diese Qualifikation doch auch nicht, sondern überlassen es richtigerweise Gott, ob, wann und wie Er das Gebet beantworten will. „Wenn es dein Wille ist,“ ist bei Gebet doch eher ein Ausdruck des Unglaubens, als Achtung vor der Souveränität Gottes, die Antwort des Gebets selbst zu bestimmen.
Trotz allem Engagement für Heilung ist eine oft wiederholte Aussage problematisch: „Gott will immer heilen!“ Denn wenn Gott tatsächlich in jedem Fall sofort Heilung will, muss man sich fragen, warum so wenige Menschen geheilt werden. Die ehrliche Tatsache ist doch, dass trotz vehementer Glaubenspredigten und temperamentvollen Gebets die meisten Menschen (die gern geheilt werden wollen) nicht sofort gesund werden. Die Standardeinstellung „an Gott liegt es nicht,“ „Gott ist nicht dran schuld“ ist scheint zwar intuitiv richtig, ist aber irreführend und als einfache Erklärung für eine komplexes theologisches Problem grundfalsch!
Warum Menschen trotz ihres Glaubens an Heilung in dieser Welt nicht gesund werden, kann menschliche Ursachen haben, muss es aber nicht. Es kann sein, dass unsere Gebete zu lau waren (denn das anhaltende, leidenschaftliche Gebet wie das eines Elija erweist sich als wirksam (Jakobus 5, 16-17)), muss aber nicht. Es kann sein, dass manche Menschen krank sind aufgrund von Sünde (1 Kor. 11, 27-32), muss aber nicht. Ist vielleicht doch manchmal ultimativ Gott daran schuld, dass wir keine Heilung erfahren?
Auch wenn Jesus und die Apostel viele Menschen geheilt haben, eine Garantie oder allgemeine Zusicherung für Heilung gibt es auch im Neuen Testament nicht. Ganz im Gegenteil. Trotz ausgeprägter Heilungsgaben in der ersten Kirche sind viele bekannt Persönlichkeiten in der Bibel krank.
Trophimus, der mit Paulus auf Reisen war, wird von dem Apostel krank in Miletus zurück gelassen (2 Tim. 4, 20). Offensichtlich ging es Trophimus so schlecht, dass er nicht weiter reisen konnte und er es bis zum Schreiben des zweiten Timotheusbriefes auch nicht geschafft hat, nachzukommen. Es wird schwer sein, eine andere plausible Erklärung dafür zu finden, warum Paulus, der selbst außergewöhnlichste Heilungen zustande brachte, nicht in der Lage war, Trophimus zu heilen – als dass auch Paulus nicht in jedem Fall eine übernatürliche Heilung von Gott erwartete.
Timotheus ist gut bekannt durch die Beschreibung seiner Magenprobleme und die Aufforderung des Paulus, diese durch (mäßigen!) Weingenuss zu lindern (1 Tim. 5, 23). Die gesundheitlichen Probleme des Timotheus werden als „wiederkehrend“ (Gr.: puknos) bezeichnet. Timotheus hatte also regelmäßig gesundheitliche Schwierigkeiten. Dass Paulus anstelle eines Gebets in seinem Brief oder eine Ermahnung an Timotheus, mehr Glauben zu haben, schreibt, dass dieser seine Leiden durch ein Gläschen Wein mindern soll, spricht Bände darüber, ob Paulus erwartet hat, dass Gott „immer heilt“!
Paulus selbst war ernsthaft krank als er auf seiner ersten Missionsreise in Galatien unterwegs war (Gal. 4, 13-14). Wenn Paulus beschreibt, dass er aufgrund seiner Krankheit den Galatern das Evangelium überhaupt erst gepredigt hat, beschreibt er wahrscheinlich damit ein Szenario, in welchem der Apostel vor hatte, wesentlich weiter zu reisen, als wir das von den Erzählungen der Apostelgeschichte kennen. Weil er aber zu schwach war, entschied er sich da, wo er krank geworden war, entgegen seinen ursprünglichen Absichten, erst einmal zu bleiben und dort zu predigen. Bestimmt war es auch nicht nur ein Schnupfen, welcher den Apostel kurzzeitig zum erliegen brachte. Paulus beschreibt, dass seine Krankheit eine „Versuchung,“ also eine Art Test für die Galater war. Sie hätten Paulus aufgrund seiner Krankheit als von Gott gesandten Prediger ablehnen können, haben dies aber nicht getan, sondern ihn und seine Botschaft herzlich aufgenommen.
Epaphroditus ist ebenfalls auf Reisen krank geworden, als er von Philippi unterwegs nach Rom zum inhaftierten Paulus war (Phil. 2, 25-30). Allerdings hat sich Epaphroditus nicht geschont, sondern ist (weil ihm die Mission, Paulus mit der finanziellen Unterstützung der Philipper zu erreichten wichtig war) weiter nach Rom gelaufen, was ihm fast das Leben gekost hätte. Letztendlich ist Epaphroditus genesen, aber nach der Beschreibung des Paulus ist die Heilung nicht selbstverständlich gewesen. Im Philipperbrief beschreibt Paulus seine Sorge, dass es auch anders hätte ausgehen können und das die Barmherzigkeit Gottes Paulus davor bewahrt vor dem eventuellen Verlustschmerz bewahrt hat. Auf keine Fall lassen sich diese Worte mit der Idee vereinbaren, dass Paulus in jedem Fall erwartet hätte, dass „Gott immer heilt.“ Mehr zu Epaphroditus später.
Zwei Aussagen aus dem Alten Testament (Ps. 103, 3 und Jes. 53, 5) werden oft zitiert, um zu behaupten, dass es immer Gottes Wille ist zu heilen, und dass es Ursachen außerhalb von Gott geben muss, wenn dies nicht passiert.
In Psalm 103 schreibt David „Preise den HERRN, meine Seele und vergiss nicht, was er dir gutes getan hat, der all deine Sünden vergibt und all deine Krankheiten heilt.“ Das Nebeneinanderstellen von Gottes Charakter als derjenige zum einen Sünden vergibt und andererseits Krankheiten heilt, scheint darauf zu schließen, dass die Art und Weise, wie Gott Sünde vergibt (immer bei einem ehrlichen Herzen, was Vergebung bei Ihm sucht) dieselbe Art und Weise ist, wie er Krankheiten heilt (ebenfalls immer, wenn man Gott darauf vertraut). Dies ist allerdings eine zu naive Auslegung des Texts. Die Aussagen der Psalmen sind differenzierter und der Text sagt nur, dass Gott jemand ist, der Krankheiten heilt – und durchaus nicht nur an einzelnen Symptomen bastelt, sondern auch völlige Gesundheit schenken kann. Dass Gott dies immer und bei jedem Gläubigen tut oder tun muss, wird in dem Psalm nicht ausgesagt. Dass die Psalmen nuancierter gelesen werden müssen ist an folgendem Beispiel deutlich. In Ps. 91 „verspricht“ der Schreiber, dass wenn man bei Gott Zuflucht sucht, weder Kriegspfeile noch Seuchen fürchten muss – auch wenn es tausend zur Rechten und zehntausend zu Linken trifft, der Gottesfürchtige wird davon verschont. Wirklich? In Psalm 44, 22 heisst es dass „wir um deinetwillen den ganzen Tag lang getötet werden und wir wie Schafe zum schlachten behandelt werden.“ „Um deinetwillen“ zeigt dabei deutlich, dass die Gläubigen nicht aufgrund von Sünde oder sonstigem menschlichem Fehlverhalten sterben, sondern sie gerade aufgrund ihrer Hingabe zu Gott umkommen. Beide Aussagen, Verschonung in Ps. 91 und Umkommen in Ps. 44 müssen vereinbar miteinander sein – es zeigt uns, dass die Psalmen in der Art wie sie gelesen werden wollen, nicht hieb- und stichfeste ausnahmslose Regeln sind, die immer und für alle jederzeit auf dieselbe Weise anwendbar sind. Psalm 103 verpflichtet Gott nicht als jemanden, der immer heilen will und muss.
Jeseja 53 beschreibt in prophetischer Voraussicht den stellvertretenden Opfertod von Jesus. Was dieses Sühneopfer gutes beim Gläubigen bewirkt wird folgendermaßen in den Versen 4 und 5 beschrieben: „Wahrhaftig, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wurde. Aber er ist um unsere Missetaten willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Die „Heilung der Wunden“ wird bei manchen Heilungspredigern als die Heilung von körperlichen Gebrechen angesehen. Oft wird auch aufgrund der Vergangenheitsform im Wort „sind wir geheilt“ behauptet, dass Christen durch den Opfertod von Jesus bereits körperlich geheilt sind und die Heilung durch verschiedenen Gebetspraxen nur noch von der „geistigen Realität in die physische Realität“ übertragen werden muss. Der mentale Spagat, den man bei einem solchen „Verständnis“ ausführen muss, tut weh. Entweder man ist geheilt und schmerzfrei oder man ist es nicht. Eine „geistige Realität der Heilung“ während die physikalischen Fakten anders aussehen ist einfach nur Unsinn. Jesaja 53 verspricht keine körperliche Heilung, die uns durch das Sühneopfer von Jesus garantiert wird. Die „Heilung der Wunden“ ist bei Jesaja eine Bildersprache, welche symbolisch die Vergebung der Sünden und die Gesundung der Beziehung mit Gott ausdrückt. Propheten verpacken nun mal ihre Botschaft in anschauliche Symbole und die Heilung ist hier ein Symbol und nicht mit einer „körperlichen Heilung“ zu verwechseln. Der Apostel Petrus macht dies glasklar. Er zitiert Jesaja 53, 5 „denn durch seine Wunden sind wir geheilt“ in 1 Pet. 2, 24 und erklärt den Lesern, was damit gemeint ist im nächsten Vers: „Denn ihr wart wie die irrenden Schafe, jetzt aber seid ihr zurück gekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.“ Petrus identifiziert die Krankheit nicht als physische Symptome, sondern als ein in Sünde umherirren. Die Gesundung wird als das Zurückkehren der Seelen zu Gott definiert. Die „Heilung der Wunden“ bei Jesaja ist also keine Aussage darüber, ob körperliche Heilung Teil der Errungenschaften des Sühneopfers war – Heilung an dieser Stelle ist die Symbolsprache des Propheten für die Wiederherstellung der Beziehung mit Gott – genau wie der „Frieden“ im selben Vers keine Garantie dafür ist, dass Christen nie in irdische Kriegshandlung verwickelt werden, sondern die Versöhnung mit Gott beschreibt.
Da Gott uns weder im Alten noch im Neuen Testament Heilung garantiert, kann es tatsächlich sein, dass Gott „daran Schuld ist,“ wenn Christen trotz Gebet nicht geheilt werden. Und Er hat kein Problem damit. Auch wenn Er sich als jemand offenbart, der gern heilt, kann es dennoch sein, dass wenn jemand nicht gesund wird, es ausschließlich daran liegt, dass Gott in Seinem Souveränen Willen in diesem Augenblick nicht heilen will!
Christen sollten lernen, diese Spannung auszuhalten: zu erwarten, dass Gott Wunder tut und gleichzeitig, sich freudig (!) dem Willen Gottes hinzugeben und Ihm auch in Krankheit zu vertrauen. Eine gute Theologie des Leidens ist für jeden Christen dringend geboten. Wir müssen weder bei uns die Schuld suchen, noch Gott theologisch aus der Klemme helfen, wenn Christen leiden oder sogar sterben. Es ist Teil der Zeit, in der wir leben. Es ist normal. Es ist so, wie Gott es für manche für uns will. Nicht umsonst heisst der Körper, den wir diesseits der Auferstehung haben „vergänglich“ (1 Kor. 15, 52).
Zu einer ausgewogener Theologie der Heilung gehört auch zu erkennen, dass Heilung nicht das non-plus-ultra der Absichten Gottes in diesem Zeitalter ist. Jedes Jahr wieder, wenn mir meine noch-atheistischen Verwandten zum Geburtstag gratulieren, fällt als letzte Bemerkung der guten-Wünsche-Liste „und vor allem Gesundheit.“ Ich nehme es ihnen nicht übel, dass ihre Geburtstagswünsche nicht ganz theologisch korrekt sind. Sie wissen (noch) nicht, dass es Gott nicht in erster Linie und hauptsächlich darum geht, dass alle Christen zu aller Zeit gesund sind. Gesundheit ist eben nicht das höchste Gut eines Gläubigen. Epaphroditus hat das auf erstaunliche Weise erkannt und ausgelebt. Als er auf dem Weg nach Rom krank wurde, hat er nicht seine Gesundheit an erste Stelle gesetzt, sondern sowohl sein Wohlbefinden, als auch sogar sein Leben riskiert, um einer größeren Sache willen – er wollte sicher stellen, dass Paulus finanziell versorgt wird, so dass er weiter leben und das Evangelium predigen kann (Phil. 2, 25-30). Um der Ausbreitung der guten Nachricht willen, war Epaphroditus bereit, Gesundheit und Leben aufs Spiel zu setzen. Wenn man bedenkt, dass Paulus die Philipper ermutigt, sich nicht darüber zu sorgen, dass er im Gefängnis ist, sondern dass „alle Dinge dazu gedient haben, dass das Evangelium weiter verbreitet wird“ (Phil. 1, 12); wenn man bedenkt, dass eine Krankheit überhaupt erst dazu geführt hat, dass die Galater von Jesus hörten und als Konsequenz ewiges Leben bei Ihm fanden (Gal. 4, 13-14), dann scheint der Schluss nahe zu liegen, dass Gott Krankheit und Leid dazu benutzt um das Evangelium da hin zu bringen, wo es ohne die Gebrechen und ohne den Schmerz von Christen nie hingelangt wäre.
Gott benutzt in Seiner Souveränität Krankheit, um ein ultimativ wichtiges Ziel zu erreichen – Menschen durch das Evangelium ewiges Leben zu schenken. Wenn Christen die Ausbreitung des Evangeliums wirklich wichtig wäre; wenn wir zustimmen würden, dass das ewige Leid von Nichtchristen verhindert werden kann durch ihr Kennenlernen von Jesus, würden wir vielleicht auch den Mangel an Heilung in neuem Licht sehen. Vielleicht würden wir die „Fügung Gottes“ nicht mehr als Last, sondern als Chance sehen, mit einem Bewusstsein von Sendung und Bestimmung für unseren großen und souveränen Gott zu leben. Es sind eben unter Umständen die Krankenschwester oder der Zimmergenosse im Krankenhaus, die Gott bestimmt hat, vom genialen Retter Jesus Christus zu hören.
Mein Sehnsucht ist es, dass wir mehr übernatürliche Heilung erleben und dass Christen bis sie geheilt sind, ihre Krankheit zur Ehre Gottes nutzen. Leidenschaftlicher Glaube braucht beides: Hunger nach Wundern und Determination, aus allen Dingen und Umständen das beste zu Gottes Ehre zu machen.
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