Ich habe heute von vielen Freunden einen Link zu einem dringendem Gebetsaufruf gegen das geplante dritte Bevölkerungsschutzgesetz erhalten, welches am 18. November 2020 im Bundestag zur Abstimmung steht.
Ich möchte hier gern meine Gründe darlegen, warum ich bei diesem Aufruf für Fasten und Gebet nicht mitmachen werde. Der Aufruf, gegen das neue Bevölkerungsschutzgesetz zu beten, steht in vielen Punkten im Kontrast zum Evangelium und entspricht nicht einem liebevollen Umgang mit unseren Nächsten.
Ich verstehe, dass es zwischen Christen unterschiedliche Standpunkte zu politischen Positionen gibt. Dies ist normal und gut so. Christliche Einheit besteht nicht darin, zu jeder politischen Ansicht dieselbe Meinung zu haben. Christliche Einheit besteht darin, sachlich und in Liebe mögliche Positionen abzuwägen. Man fragt sich dabei, ob Biblische Ethik Einfluss auf die Meinungsfindung zu einer politischen Position hat. In der konkreten Frage, ob das dritte Bevölkerungsschutzgesetz richtig oder mangelhaft ist, dürfen Christen gern unterschiedlicher Meinung sein.
Ich warne jedoch vor dem automatischen Reflex, nur weil das Gesetz möglicherweise die Versammlungsfreiheit von Christen einschränkt, das Gesetz von vorn herein abzulehnen. Das Aufgeben von Rechten und Privilegien in Zeiten von Not kann ein nobler Charakterzug sein – auch wenn es um unser Recht auf Versammlung bei Gottesdiensten geht. Wir erwarten wie selbstverständlich, dass in Zeiten von Not, andere ihre Rechte für das Allgemeinwohl aufgeben. Das Katastrophenschutzgesetz des Landes Sachsen verpflichtet zum Beispiel im Katastrophenfall jegliche Person älter als 16 Jahre zur notwendigen Hilfeleistung. Ich kenne wenige Menschen, welche an diesem Gesetz Anstoß nehmen. Es scheint selbstverständlich, dass wenn andere oder die Allgemeinheit unsere Hilfe braucht, Altruismus angebracht ist. Und nicht das Beharren auf Rechte! Wir erwarten zurecht, dass anstelle von Karnevallsveranstaltungen, Sandsäcke gestapelt werden. Wir erwarten zurecht, dass zur Rettung von Menschen unser Auto zur Verfügung steht – auch wenn wir uns damit gerade auf dem Weg zum Gottesdienst befinden.
Das neue Bevölkerungsschutzgesetz erwartet von Christen, dass sie Rechte auf religiöse Versammlungsfreiheit in Zeiten von Epidemien nationalem Ausmaßes einschränken. Zurecht! Es ist richtig, wenn Gottesdienste dem Allgemeinwohl schaden, diese Gottesdienste zugunsten anderer Menschen nicht durchzuführen. Das letzte halbe Jahr hat immer wieder gezeigt, dass gerade evangelisch-freikirchliche Gottesdienste eine Ansteckungsgefahr für deren Besucher darstellt. Die Geschädigten sind jedoch nicht nur diejenigen, die einen Gottesdienst besuchen, sondern diejenigen, welche von diesen Gottesdienstbesuchern aufgrund nachfolgender Kontakte angesteckt werden.
Christliche Nächstenliebe verlangt nicht nur die eigenen Rechte im Blick zu haben, sondern zu hinterfragen, welche Konsequenzen die Ausübung der eigenen Rechte auf andere hat. Christus hat es uns vorgelebt, dass er seine eigenen Rechte auf Anerkennung als glorreicher Gottessohn aufgegeben hat – uns zuliebe! (Philipper 2, 6-8 „obwohl Christus in Gestalt Gott selbst war, erachtete er es nicht als rechtmäßige Beute, Gott gleich zu sein. 7Aber er machte sich selbst zu nichts und nahm Sklavengestalt an, indem er den Menschen gleich geworden ist, und der Gestalt nach wie ein Mensch erfunden, 8erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz.“) Diese Einstellung, nämlich die Bereitschaft unsere Privilegien zum Nutzen anderer aufzugeben ist explizit auch von den Nachfolgern von Jesus gefordert (Phil. 2, 5 „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war…“.
Wenn ich mir vorstelle, wie Christen leben, welche gern ihre eigenen Rechte aufgeben um anderer Willen, dann habe ich nicht Christen vor Augen, welche gegen das Bevölkerungsschutzgesetz fasten und beten. Ich habe nicht Christen vor Augen, die selbstgerecht und wütend sich ihrer Privilegien beschnitten sehen. Ich habe Christen vor Augen, die gern und freiwillig einer sterbenden Welt in ihrem Lebenswandel vormachen, was es bedeutet, dass Christus seine Privilegien für eine gottlose Welt aufgegeben hat.
Ich kann es beim besten Willen nicht verstehen, wie man öffentlich dazu aufrufen kann, im Angesicht einer Pandemie gegen Gesetze zu beten, die eine Pandemie verhindern sollen. Hat jemand mal daran gedacht, dass Nichtchristen zusehen, wie Christen in dieser Zeit leben? Ich bin einfach nur beschämt, wie selbstsüchtig wir auf unsere gemütlichen Gottesdienste und vermeintlichen Rechte pochen. Wenn ich an den Jesus der Bibel denke, kann ich mir eher vorstellen, dass er sich ein Volk wünscht, welches bereitwillig und mit freudigem Herzen Privilegien aufgibt anstelle wütend gegen die Aufhebung von Privilegien zu beten. Zumindest die Christen im ersten Jahrhundert hatten eine Freude daran, viel schlimmere Dinge zu ertragen und ihre Rechte aufzugeben, weil sie einen Blick auf zukünftige Herrlichkeit hatten, die sie erwartete (1 Pet. 1, 3-9). Mir scheint, dass Christen, die intensives Fasten und Beten dafür einsetzen, dass ihre Rechte in dieser Welt nicht minimiert werden, weder ihren Herrn noch ihr zukünftiges Erbe wirklich kennen.
Es gibt weitere Gründe, warum Gebet gegen das dritte Bevölkerungsschutzgesetz dem Lebenswandel von Christen nicht würdig ist und unseren Herrn missrepräsentiert. Aufrufe zum Gebet gegen das Infektionsgesetz unterstellen der Regierung falsche Motive. Dies ist ausdrücklich etwa in Minute 8 im Video zu hören: „du weißt nicht, was diese Person [der verantwortliche Gesundheitsminister] vorhat.“ „Rechte werden auf dem Altar der Beliebigkeit geopfert“ (ca. Minute 13). „Wir wollen nicht akzeptieren, dass Grundrechte unter fadenscheinigen Gründen ausgehebelt werden.“ (ca. Minute 15). Das ganze Video ist eine Anklage gegenüber Politikern. Sie werden beschuldigt mit falschen Motiven ein Gesetz auf den Weg zu bringen, welches Christen zukünftig schaden soll. Die Politik will angeblich etwas anderes bezwecken, als das, was die Präambel des Gesetzes explizit behauptet: Eindämmung des Infektionsgeschehens von Covid19. Diese Unterstellungen OHNE INDIZIEN entsprechen nicht dem Gebot der Christlichen Nächstenliebe. „Liebe glaubt alles“ (1 Korinther 13, 7) bedeutet eben auch, dass – es sei denn, ich habe Indizien, die mich zurecht zweifeln lassen – das Wort des anderen so nehme, als ob er tatsächlich meint, was er sagt. Der Regierung zu unterstellen, dass sie heimlich die Rechte der Christen grundlos einschränken möchte ist nichts anderes als „schändliches Reden aus eurem Mund“ (Kol. 3, 18). Es verleumdet Menschen und unterstellt ihnen falsche Motive. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese herablassend-kritische Einstellung gegenüber Regierenden Christus gut heißt.
Drittens, es ist falsch, einen Gesetzesentwurf zu kritisieren, der „potentiell“ in der Zukunft missbraucht werden könnte. Nur weil ein Gesetzesentwurf das Potential hat, missbraucht zu werden, ist das Gesetz an sich nicht unbedingt falsch. Auch das Gesetz zum Feuerschutz könnte potentiell potentiell gegen Gemeindegebäude und deren Nutzer missbraucht werden. Aber Feuerschutzgesetze an sich sind absolut legitim. Ich empfinde die kommunizierte Angst „das Gesetz könnte mal gegen uns verwendet werden“ als paranoide Wahnvorstellung und nicht würdig dem Souveränen Gott. Ist nicht unser Gott derjenige, der jeden König, Kanzler und Minister in seiner Hand hält und selbst das Herz von Tyrannen nach seinem Wohlgefallen lenkt (Sprüche 21, 1). Selbst der egozentrischste Herrscher wird anerkennen, dass „Gottes Herrschaft eine ewige Herrschaft ist und Sein Reich von Geschlecht zu Geschlecht währt. 32Und alle Bewohner der Erde sind wie nichts gerechnet, und nach seinem Willen verfährt er mit dem Heer des Himmels und den Bewohnern der Erde. Und da ist niemand, der seiner Hand wehren und zu ihm sagen könnte: Was tust du?“ (Daniel 4, 31-32). Ob das Bevölkerungsschutzgesetz jemals gegen Christen missbraucht wird, ist völlig offen. Die Wahrscheinlichkeit ist meiner subjektiven Einschätzung nach eher gering. Wie auch immer, solange ein Gesetz sich nicht offensichtlich gegen Christliche Werte oder Glauben richtet, ist der Christ aufgefordert, die Regierung zu ehren und sie in ihren Bemühungen zu unterstützen als stellvertretender Regent Gottes für Recht und Ordnung zu sorgen (1 Pet. 2, 13-25).
Drittens, ein intensiver Fasten- und Gebetsaufruf gegen den Bevölkerungsschutzplan impliziert, dass das Nicht-zustandekommen des Gesetzes von enormer Tragweite für das Reich Gottes ist. Ist es nicht! Das Gesetz soll einfach Regelmechanismen in Kraft setzen können, wonach z.B. die Regierung im Notfall Gottesdienste zur Verhinderung einer Pandemie untersagen kann. Gottes Reich ist aber mehr als ein paar ausgefallene Gottesdienste. Darf ich uns ein paar Fragen stellen. Was denkst du, will Gott langfristig mit seiner Gemeinde erreichen? Wofür soll unser Herz mit Leidenschaft schlagen? Sollten wir nicht die Inhalte beten, welche die Apostel und Christen im Neuen Testament gebetet haben? Wann beten wir in dieser Intensität für die Bekehrung unserer Freunde? Für die Heiligkeit unserer Gemeinde? Wann fasten und beten wir für Mission? Für Menschen, die Befreiung von Süchten brauchen? Sollten wir wirklich aufgefordert werden, für Lappalien wie ein Bevölkerungsschutzgesetz intensiv zu fasten und zu beten? Der Fasten- und Gebetsaufruf attestiert uns einen geistigen Mangel, nämlich dass wir nichts wichtigeres zu beten haben als gegen einen Notfallplan der Regierung in Zeiten von einer Pandemie.
Jetzt noch ein paar Worte zum Format des Gebetsaufrufes von Martin und Sigrid Baron.
Der Gebetsaufruf ist nach ihren eigenen Worten ein „geistiger Impuls“ (erste Minute im Video). Das neue Testament fordert Christen (und Gemeindeleiter im besonderen) auf, „Prophetien“ und „geistige Impulse“ einzuschätzen und zu bewerten (1 Thes. 5, 21). Ich habe dies getan und ich schätze den Gebetsaufruf als nicht ernst zu nehmende persönliche Meinung von Martin und Sigrid ein. Er widerspricht in zu vielen Punkten Gottes Offenbarung, Gottes Charakter und ist in der Kommunikation so unausgewogen und unweise, dass ich empfehle, sich den Inhalt nicht zu eigen zu machen.
Einige meiner Kritikpunkte sind die folgenden.
Erstens, das Bevölkerungsschutzgesetz und seine mögliche Verabschiedung im Bundestag wird mit dem Gesetz zur Tötung der Juden im Buch Esther vergleichen (Minute 2-3). Der Christ wird aufgefordert, wie Esther gegen das Gesetz des Königs (der Bundesregierung) aufzustehen. Die Ironie des Vergleiches ist jedoch offensichtlich: das Gesetz von Artaxerxes sollte einen Genozid auslösen, ein Volk auslöschen. Das Gesetz des Bundestages ist dazu da, ein Volk zu schützen. Ist uns Christen bewusst, dass wenn der Vergleich mit dem Buch Esther legitim ist, wir uns eigentlich vehement für das Bevölkerungsschutzgesetz einsetzen sollten? Esther gab ihr Recht auf Selbstschutz auf, um ihr Volk zu schützen. Die Parallele wäre richtigerweise: wir sollten unsere Rechte aufgeben, um unser Volk vor einer Pandemie zu schützen.
Wie bereits oben erwähnt, darf der Christ unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob das Bevölkerungsschutzgesetz verbesserungswürdig ist oder nicht. Grundlage für die Diskussion ist eine Abwägung von Fakten, was in Zeiten von medizinischen Notfällen wichtig ist und was nicht. Ein Vergleich zu einer Geschichte aus dem Alten Testament ohne wirkliche Parallele ist nur Hype. Der Aufruf „für eine Stunde wie diese“ (Esther 4, 14) ist reine Manipulation und ein Aufputschen an Dramatik und Aktionismus. Das Problem mit gehyptem Aktionismus ist, dass es Kraft raubt, Energie und Leidenschaft in Dinge zu investieren, die wirklich auf dem Herzen Gottes sind.
Zweitens, die Fakten werden von Martin und Sigrid missrepräsentiert. Sie behaupten zum Beispiel, dass das Gesetz es dem Bundestag zeitlich unbeschränkt erlaubt, zentrale Grundrechte einzuschränken. Das stimmt so nicht ganz. Die Beschneidung der Grundrechte erfolgt ausdrücklich nur für die Dauer der Epidemie nationalen Ausmaßes. Was auch nicht stimmt ist z.B. folgende Aussage „die Untersagung von religiösen Zusammenkünften die dann möglich ist, kennt man sonst nur von totalitären Staaten.“ (ca. Minute 7 im Video). Im letzten halben Jahr hat fast jedes Land der Welt Zusammenkünfte, inklusive religiöse Zusammenkünfte zum Zweck der Eindämmung einer Infektion eingeschränkt. Die totalitären Staaten waren eher die Ausnahme. „Der Bundesrat wird entmachtet“ (ca. Minute 5). Natürlich wird durch das Gesetz dem Bundestag größerer Handelsspielraum eingeräumt – ohne Konsultation vom Bundesrat. Das ist richtig. Von einer Entmachtung des Bundestages kann aber nicht die Rede sein. Das Bundesschutzgesetz muss nämlich auch vom Bundesrat selbst verabschiedet werden.
In einer emotional aufgeheizten Situation aufgrund einer Pandemie wäre es gut, pastoral weise zu kommunizieren. Das bedeutet, ausgeglichen und akkurat die Fakten darzustellen, nicht zu übertreiben oder die Situation dramatischer darstellen als sie ist.
Drittens, ich finde es sehr bedenklich, wenn in einem Gebet nur eine Einstellung zu einem politischen Problem als die einzig richtige dargestellt wird. Martin und Sigrid beten nicht generell für Weisheit für die Politiker. Sie beten einzig und allein gegen das Bundesschutzgesetz. Dieses Gebet grenzt mindestens 50% der Christen in Deutschland aus – nämlich diejenigen, welche das Gesetz als sinnvoll erachten. Solch eine Gebetspraxis ist unweise und hilft nicht der Einheit der Christen.
Viertens, Menschen, die gegen das Bundesschutzgesetz im Gebet und Fasten aufstehen, werden als heldenhaft wie Esther dargestellt. Es sind die Noblen der Christenheit, die ihre Stunde der Berufung wahrnehmen. Alle anderen, die eine andere Meinung zu diesem Thema haben werden als Leute beschrieben, die sich weg ducken (circa Minute 1), die den Kopf weg stecken (circa Minute 15). Ich bin mir unsicher, ob Martin und Sigrid sich bewusst sind, wie sehr sie alle Leute, die nicht mit ihnen fasten und beten, beleidigen. Gebetsaufrufe sind OK, aber hier geschieht Manipulation, welche Christen regelrecht dazu zwingt mitzumachen, wenn sie keine „Wegducker“ sein wollen.
Wenn diese Art „geistiger Impuls“ wie im Video präsentiert in einem meiner Gottesdienste gegeben würde, würde ich sofort das Ältestenteam zur einer Bewertung aufrufen. Mein eigenes Plädoyer wäre, dieses Wort als „nicht für die Gemeinde verwendbar“ zu verwerfen. Das Video ist kein geistiger Impuls, sondern vielmehr persönlich unausgereifte Meinung und diese auch noch unweise und beleidigend vorgetragen. Ihr abschließendes Gebet „im Namen Jesus“ kann ich nicht mit gutem Gewissen mitbeten.
Anstelle für ein fragwürdiges Ansinnen intensiv zu fasten und zu beten empfehle ich ein neues Suchen von Gott in Seinem Wort. Lasst uns Ihn und seine Größe in der Bibel neu entdecken und Ihn fragen, wie wir Seiner Souveränität in diesen interessanten Zeiten vertrauen können und das beste für Sein Reich auch in der Corona Zeit tun können.
Ja, es gibt Sachen, für die es sich lohnt zu fasten und zu beten. Auch ohne Panik und Hype können wir dafür beten, dass Gottes Reich sich unter uns ausbreitet.
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