Das Gekritzel auf der Theater- und Tempelwand belegt: wer tut, was er nicht will, ist ein Sklave! 

Das antike Theater von Delphi, im 4. Jahrhundert vor Christus erbaut, hat 35 Sitzreihen, die im typischen griechischen Stil in den Hang hinein gebaut wurden. Ein Gang trennt die erste Sitzreihe vom hufeisenförmigen Orchester. Dahinter befindet sich die rechteckige Bühne, von der nur noch die Grundmauern erhalten sind. Zwischen Orchester und Bühne befinden sich die parodoi, Seiteneingänge mit Zugang zur Bühne. Die Wände der Seiteneingänge sind mit Inschriften versehen, welche die Freilassung von Sklaven beurkunden.

Wer die berühmte Orakelstätte des Apollo zu Delphi besucht, sollte sich auf alle Fälle die großen Steine am Seiteneingang des Theaters oder die riesigen Blöcke der Stützmauer des Apollo-Tempels genauer ansehen. Diese sind nämlich nicht glatt, sondern man findet auf ihnen jede Menge Gekrakel. Die Aneinanderreihungen scheinbar unzähliger griechischer Buchstaben sind jedoch nicht Grafitti antiken jugendlichen Leichtsinns, sondern höchst offizielle Inschriften. Es handelt sich dabei um Manumissionsinschriften, also Inschriften, welche die Freilassung von Sklaven beurkunden. 

Über eintausend dieser Freilassungsverträge, die zeitlich zwischen 200 vor Christus und 74 nach Christus verfasst wurden, sind bei der Ausgrabung des Heiligen Bezirks von Delphi wiederentdeckt worden.[1] Viele Sklaven aus griechischer und römischer Zeit konnten ihre Freilassung nach einer Zeit treuen Dienstes erwarten. Entweder aus der Großzügigkeit ihres Herrn oder aufgrund entsprechender Anordnung im Testament ihres Herrn. In den allermeisten Fällen „erkauften“ sich jedoch die Sklaven ihre Freiheit. Im Laufe ihres Lebens hatten sie ein peculium angespart, also eine Art Sondervermögen aus zurückgelegten regelmäßigen Belohnungen für gute Dienste. Hatte das angesparte Geld einen vereinbarten Betrag erreicht, konnte sich der Sklave gänzliche Freiheit oder eingeschränkte Freiheit (letzteres durch einen kostengünstigeren Freilassungsvertrag mit Bleibevereinbarung bei seinem Herrn) erkaufen. Da der Sklave keine rechtskräftige Person war, geschah die Freilassung (als eine von mehreren Möglichkeiten) durch den fiktiven Verkauf an eine Gottheit. Dies war die vorherrschende Art der Freilassung in Delphi. Das Peculium wurde dabei in der Tempelbank eingezahlt und die Priester des Apollo händigten dies dem Eigentümer des Sklaven aus und kauften damit die Freiheit des Sklaven. Wer welchen Sklaven zu welchem Preis und unter welchen Bedingungen freigelassen hatte, wurde dann wie in einem offiziellen Register an die Tempel- oder Theaterwand eingemeiselt. Die Freilassung wurde damit rechtlich bindend und garantierte durch ihre öffentliche Beurkundung, dass der Freilassungsvertrag eingehalten wurde.

Westlicher Eingang zum Theater mit Befreiungsinschriften an der Parodos-Wand.

Die formelhaften Ausdrücke der Beurkundung von Freilassungen sind in den Inschriften durchgehend uniform. Das heißt, bei jeder folgenden Freilassung wurden nicht neue Beschreibungen ausgedacht oder neue Gesetzestexte entworfen, sondern die Inschriften in Delphi folgen immer dem gleichen Muster und benutzen dieselben Phrasen. Die Aufzeichnung der Freilassung beginnt mit einer Zeitangabe, meistens das Herrschaftsjahr eines Magistraten oder durch den namensgebenden Priester des Jahres. Danach folgt wer welchen Sklaven an welchen Gott „übergibt“, also freilässt. Es folgt ein Zahlungsbeleg mit Angabe der Höhe des Betrages, welche der Sklave über den vermittelnden Gott an den Herrn übergeben hat. Nach einer Formel, in welcher der Sklave den Verkauf dem Gott anvertraut, kommen formelhafte Ausdrücke, welche die Freiheit des Sklaven ausdrücken und die zukünftige Versklavung des Freigelassenen verbieten. Das Dokument wird abgeschlossen durch Bürgen und Zeugen.

Detailaufnahme von Befreiungsinschriften am westlichen Seiteneingang des Theaters von Delphi.

Als Beispiel soll die Freilassung von Artimodora und Eukleia aufgezeigt werden:

Als Phaineas im Monat Panemos General [der Ätolier] und Emmenidas im Monat Boukatios Archon in Delphi war, verkaufte Dameas, der von König Attalos eingesetzte Aufseher der königlichen Arbeiten, dem pythischen Apollon eine königliche Sklavin namens Artemidora zum Preis von 43 Statern Silber, und zwar unter diesen Bedingungen. Dementsprechend hat Artemidora den Verkauf dem Gott anvertraut, unter der Bedingung, dass sie frei ist, tun kann, was sie will, und leben kann, wo sie will. Bürge in Übereinstimmung mit dem Gesetz: Etymondas von Delphi. Zeugen: die Priester und Privatpersonen Nikodamos, Orthaios, Polykleitos und Theutimos von Amphissa.[2]

Als Dikaiarchos von Trichonion General [der Ätolier] war, im Monat Panemos, und als Peithagoras Archon in Delphi war, im Monat Boukatios, verkaufte Timon von Amphissa, der Sohn des Phillidas, dem pythischen Apollon ein kleines Mädchen namens Eukleia, die aus Delphi stammte und die ihm ihre Mutter anvertraut hatte, für den Preis von drei Minen Silber. Demnach hat Eukleia den Verkauf dem Gott anvertraut, unter der Bedingung, dass sie frei ist und nicht gefangen genommen werden kann und tun kann, was sie will. Bürgschaft nach dem Gesetz: Lamprias von Amphissa, der Sohn des Alexomenos. Zeugen: Priester: Xenon und Athambos, Privatpersonen aus Delphi: Aristainetos, Damochares und Xenostratos, Privatpersonen aus Amphissa: Philon, Pyrrhinos, Ariston und Ainias.[3]

Es gibt in den Delphischen Inschriften insgesamt vier wiederkehrende formelhafte Ausdrücke, welche die Freiheit der freigelassenen Sklaven ausdrücken:

  1. der neue Status der Person wird angezeigt durch „dass er/sie fei sei“;
  2. dass die Person kein Besitz mehr ist, sondern eine freie Person wird beschreiben durch die „Unergreifbar-Klausel“: „nicht gefangen genommen werden kann“
  3. die Unabhängigkeit vom Besitzer wird ausgedrückt durch „kann tun, was er/sie will“;
  4. und durch den Ausdruck „kann gehen wohin er/sie will“.

Dass eine Person frei ist, kann also durch einen oder eine Kombination von mehreren dieser vier Begriffe beschrieben werden. Für die Leser des Neuen Testaments ist die Redewendung „tun, was immer er will“ (gr. poioon ho ka thelee) besonders interessant, denn Paulus nutzt genau diesen Ausdruck in Römer 7,14-25, indem er ihn ins Gegenteil umkehrt denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus… was ich nicht will, das tue ich (gr. ou theloo touto poioo)… denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Röm 7, 15, 16, 19). Entgegen dem Freien, der sagen kann „ich tue, was ich will,“ ist der verzweifelte Ruf des Paulus in Römer 7 „ich tue nicht, was ich will.“ Wenn tun, was ich will“ der Ausdruck eines Freien ist, so bejammert derjenige, der „tut, was er nicht will“ seinen Status als Sklaven.[4]

Mit seiner rhetorischen Raffinesse greift Paulus dabei nicht auf unbekannte Lokalsprache zurück, welche seine Leser in Rom nicht verstanden hätten. Um die Abhängigkeit von Paulus auf Delphische Freilassungsinschriften zu untersuchen, sollte man sowohl die Häufigkeit von „tun was er will“ in Delphi und die Bedeutung von Delphi in der antiken Welt beachten.

Die etwas eintausend Freilassungsinschriften lassen sich in zwei große Gruppen unterteilen. Zum einen gibt es die partielle Freilassung mit paramonee-Klausel, also eine teilweise Freilassung mit dem Zusatz, dass die freigelassene Person weiter bei ihrem Herrn bleiben (gr. eine Form von menoo) muss. Die andere Gruppe sind die bedingungslosen Freilassungsinschriften, bis auf wenige Ausnahmen tragen nur die bedingungslosen Freilassungen die formelhaften Freilassungsausdrücke.

Untersucht man die Freilassungsinschriften in der Inschriftendatenbank des Packard Humanities Institute auf die Anwesenheit von „kann tun, was er will,“ findet man diese Formel 498 Mal in 494 Inschriften.[5] Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass der antike Besucher von Delphi von „kann tun, was er will“ regelrecht visuell überwältigt wurde. Zweitens dürfen wir die Bedeutung von Delphi in der Antiken Welt nicht unterschätzen. Delphi war keine entfernte griechische Kolonie irgendwo am Rande der mediterranen Welt. Delphis herausragender Status und weitreichender Einfluss auf die griechische Welt war enorm. Delphi war das Pilgerzentrum für Abgesandte von Stadtstaaten und Königen hellenistischer und ausländischer Städte sowie von Privatleuten gleichermaßen. Hier befand sich das weltberühmte Orakel des Apollo, welches sowohl für Entscheidungen über Krieg und Frieden sowie über private Angelegenheiten befragt wurde. Hier befanden sich die Schatzhäuser der großen Stadtstaaten, die ihre Kriegsbeute Apollo weihten. Delphi war einer der vier Austragungsorte der panhellenischen Spiele. In Delphi traf sich die Griechische Welt für Opfer, Weihungen, Spiele, um vom Mittelpunkt der Welt wieder nach Hause zu fahren. Delphi war – nach wortwörtlichem Verständnis – der Nabel der Erde, das Zentrum der Welt. Der griechischen Sage nach schichte Zeus von beiden Weltenden je einen Adler aus – und diese trafen sich in Delphi!

Eine von vielen antiken Kopien des Omphelos, des Steines der von Zeus vom Himmel geworfen wurde und in Delphi das Zentrum der Welt markierte.

Es war Delphi, welches für die restliche griechische Welt eine präzise und koordinierte Beschreibung der vier Hauptelemente lieferte, die im Status der Freiheit vorhanden sind und bei Personen, die der persönlichen Sklaverei unterworfen sind, fehlen.[6] Delphi gab den Ton an und Delphi hinterließ für die gesamte griechisch-sprachige Welt eine Definition, was es bedeutet, frei zu sein: „er kann tun was er will“. Wer nicht tut, was er will, ist damit in eindrücklichster Rhetorik ganz offensichtlich jemand, der ein Sklave ist und den Willen eines anderem uneingeschränkt unterworfen ist.

Diese Beobachtung ist von enormer Bedeutung für das Verständnis von Römer 7,14-25. Denn es liefert einen weiteren wichtigen Indiz, dass Paulus in diesem Text nicht seine eigene persönliche Situation beschreibt, nachdem er Christ geworden ist,[7] sondern die typische Situation eines Juden charakterisiert, der aufgrund des Gehorsams zum Mosaischen Gesetz Rechtfertigung vor Gott erreichen will – und versagt, weil er ein Sklave der Sünde ist.[7]

Paulus schreibt: 14 Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft; 15 denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht; denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus. 16 Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so stimme ich dem Gesetz bei, daß es gut ist. 17 Nun aber vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde. 18 Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnte; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen des Guten nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde. 21 Ich finde also das Gesetz, daß bei mir, der ich das Gute tun will, [nur] das Böse vorhanden ist. 22 Denn ich habe nach dem inneren Menschen Wohlgefallen am Gesetz Gottes. 23 Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes? – 25 Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! Also diene ich nun selbst mit dem Sinn Gottes Gesetz, mit dem Fleisch aber der Sünde Gesetz.

Die Diskussion darüber, ob Paulus sich selbst als Christ und damit den inneren Kampf um Heiligung darstellt oder einen gesetzestreuen Juden beschreibt, der durch das Mosaischen Gesetz Gerechtigkeit vor Gott erhalten will, konzentrierte sich bisher auf textuelle Indizien aus dem Römerbrief. Die verschiedenen Seiten argumentierten also aufgrund anderer Bibelstellen im Römerbrief, auf wen sich Römer 7 beziehen kann (siehe Fußnote 7). S.R. Llewelyn hat jedoch vollkommen richtig darauf hingewiesen, dass in der bisherigen Diskussion die Bildersprache, auf welche die Passage aufbaut, nicht genügend beachtet wurde.[8] Die Bildersprache wird nämlich den Inhalt deutlich prägen und der Inhalt wird für sich sprechen, wer in Römer 7 gemeint ist. Die vorherrschende Bildersprache in diesem Abschnitt ist Sklavensprache.[9]

  1. Die Passage ist mit dem Ausdruck „unter Sünde verkauft“ überschrieben (Röm 7, 14). Das griechische Wort für verkaufen (gr. pipraskoo), wird in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, oft für den Verkauf von Sklaven verwendet: „Wenn dein Bruder, ein Hebräer oder eine Hebräerin, sich dir verkauft (gr. pipraskoo), dann soll er dir sechs Jahre dienen, und im siebten Jahr sollst du ihn von dir als Freien entlassen;“ Denn sie sind meine Haushaltssklaven, die ich aus dem Land Ägypten herausgeführt habe. Sie sollen nicht verkauft werden (gr. pipraskoo), wie man Haushaltssklaven verkauft (gr. pipraskoo).
  2. Der Text endet mit einem direkten Hinweis auf Sklaverei: „Also diene ich nun als Sklave (gr. douleoo) selbst mit dem Sinn Gottes Gesetz, mit dem Fleisch aber diene ich als Sklave (gr. douleoo in einer Ellipse) der Sünde Gesetz.“ Mit Sklavensprache am Anfang und am Ende der Passage wird der Abschnitt mit Sklavenmetaphorik in einem Inklusio zusammengefasst.
  3. Römer 7 ist eingebettet den größeren Kontext von Römer 6 und Römer 8, in welcher Sklavensprache ebenso prominent ist.
  4. Römer 7, 14-25 beschreibt den Kampf zwischen was man tun will und was man tatsächlich tut. Dies ist der Kampf, den ein Sklave gut kennt, denn er war dem Willen seines Herrn unterworfen und nicht frei, zu tun, was er will. Hier benutzt Paulus die schon beschriebene Manumissionssprache „tue, was ich will,“ um bildlich eindrucksvoll zu schreiben, dass wer nicht tut, was er will, ein Sklave ist – nämlich ein Sklave der Sünde. Die Hauptargumentation des Paulus ist dabei, solange ein Mensch „unter dem Gesetz“ ist, also solange das Gesetz sein Herr ist, wird derjenige auch die Sünde als Herrn im Leben haben. Erst mit dem Glauben an die freie Gerechtfertigung in Jesus findet ein Herrschaftswechsel statt. Die Macht der Sünde als Sklavenherr wird durch Jesus Christus als Herrn abgelöst.

Schauen wir uns die effektvollen bildlichen Beschreibungen von Paulus im Detail in den einzelnen Versen an.

14 Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft;

Paulus fängt an in diesen Versen zu erklären, warum das Gesetz, obwohl es gut und göttlichen Ursprunges ist, demjenigen, der danach leben will, den Tod anstelle von ewigem Leben bringt. Es liegt nicht daran, dass das Gesetz an sich schlecht ist – ganz im Gegenteil, das Gesetz ist „geistlich“ und damit aufgrund seines göttlichen Ursprunges tadellos.[10] Im ganzen Kontrast dazu ist Paulus, der sich hier als Jude unter dem Gesetz präsentiert, „fleischlich.“ Paulus beschreibt mit „Fleisch“ (gr. sarx) und „fleischlich“ (gr. sarkinos) im Römerbrief nicht so sehr die sündhafte Natur, die gern sündigen will, sondern das Versagen menschlichen Bemühens nach einer auf dem Gesetz basierenden Beziehung zu Gott.[11] Per Definition kann ein Christ nicht „fleischlich“ sein, denn „fleischlich“ beschreibt die Zuversicht, dass man aufgrund von Gesetzeswerken mit Gott versöhnt ist. Paulus sagt explizit, dass ein Mensch, der Christus vertraut „nicht im Fleisch ist“ (Röm 8,9).

„Unter die Sünde verkauft“ beschreibt nicht den Kampf des Christen, der zugegebenermaßen immer noch von Sünde beeinflusst ist und in diesem Leben nie sündlos sein wird. „Unter die Sünde verkauft“ (gr. pepramenos (von pipraskoo)) ist der reguläre und dramatische Ausdruck in der Septuaginta, in Inschriften und Papyri, dass ein Mensch einem neuen Sklavenmeister verkauft wurde.[12] Der neue Sklavenherrscher ist die Sünde (gr. hamartia).

Die Sklavensprache, unter der Herrschaft der Sünde als Sklave hilflos ausgeliefert zu sein, ist eine Beschreibung eines Juden, der denkt, dass er mit der Anerkennung des Mosaischen Gesetzes als herrschendes Prinzip im Leben, Freiheit von Sünde erlangen kann. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Wer das Mosaischen Gesetz als Sklavenmeister hat, hat automatisch auch die Sünde als Sklavenmeister im Leben, von dem man nicht entfliehen kann. Im Kontrast dazu ist der Christ von der Macht des Sklavenmeisters Sünde „freigesetzt worden“ und ein „Sklave von Gerechtigkeit“ und ein „Sklave Gottes geworden“ (Röm 6,18,22).

15 denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht; denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus. 16 Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so stimme ich dem Gesetz bei, daß es gut ist. 17 Nun aber vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde.

Der Konflikt zwischen Wollen und Tun dominiert diese Verse. Es ist eine Ausführung dessen, was es bedeutet, „unter der Herrschaft des Sündenmeisters“ verkauft zu sein, wenn man nicht Christus, sondern das Mosaischen Gesetz als Meister im Leben hat. Paulus hat als Christ eine neue Perspektive auf das Gesetz. Als Jude konnte er noch behaupten „gerecht entsprechend des Standards des Gesetzes“ zu sein (Phil 3,6). Aber schon im Kontext des Philipperbriefes lässt sich erkennen, dass etwas faul war an der vermeintlichen Gerechtigkeit durch das Gesetz (Phil 3,8-9). Auch wenn der Jude sich rühmen kann, viele Gebote zu halten, die Realität auf die Gesamtschau sah dann doch ganz anders aus (Röm 2). Das wiederkehrend beschriebene Dilemma: „Ich will das eine, tue aber das andere,“ hat hier zwei rhetorische Funktionen. Es beweist einerseits, dass das Gesetz gut ist (denn man stimmt ja mit dem Willen dem Gesetz überein). Das man dennoch das Gesetz „nicht tut“, zeigt, dass der Mensch, der aus dem Mosaischen Gesetz lebt, von einer „fremden“ Macht als Sklavenherr bestimmt wird. Sünde regiert als Sklavenherr. Das „nun“ ist keine zeitliche Festlegung, sondern eine logische. Es markiert die Schlussfolgerung. Wenn man nicht tut, was man will, ist man ein Sklave und der Herr ist eine innewohnende Sünde als Sklavenherr.

Der einzige Grund, so Paulus, warum der „gesetzestreue Jude“ dann doch nicht tut, was er will, ist dass es einen anderen Mitspieler im Drama gibt und dies ist der Sündenmeister. Paulus transferiert mit „nicht mehr ich tue es“ nicht die Verantwortung zu einem äußeren Einfluss, für die er nichts kann. Die Sünde wohnt „in ihm,“ sie ist Teil seiner Persönlichkeit und „herrscht über ihn wie ein Meister über seinen Sklaven.“[13]

18 Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnte; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen des Guten nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde.

Die Verse 18 bis 20 erweitern die Aussage, dass Sünde der Sklavenherr im Leben eines Menschen ist, der versucht, durch das Gesetz für Gott zu leben. Eigentlich war schon alles gesagt, aber durch die Wiederholungen von „tue nicht, was ich will“ führen dazu die absolute Ausweglosigkeit dramatisch darzustellen. Es gibt vom Sklavenmeister, der herrscht, solange man „unter dem Gesetz“ ist kein Entkommen. Auch in Vers 18 definiert Paulus mit „in meinem Fleisch“ nicht seinen Körper und auch nicht das „ethische versagende Fleisch.“ „Fleisch“ ist hier wie „fleischlich“ in Vers 14 die selbstgerechte Persönlichkeit, die durch Halten des Mosaischen Gesetzes eine Beziehung mit Gott konstituieren will. Wieder und wieder dreht Paulus noch eine rhetorische Runde um dasselbe Thema: Wer aufgrund von Gesetzestreue zu Gott finden will, findet anstelle dessen wiederholtes Versagen, welches nur darauf zurück zu führen ist, dass Sünde, nicht Gott, der Herr im Leben ist.

21 Ich finde also das Gesetz, daß bei mir, der ich das Gute tun will, [nur] das Böse vorhanden ist. 22 Denn ich habe nach dem inneren Menschen Wohlgefallen am Gesetz Gottes. 23 Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.

Aus dem erfolglosen Bemühen, das vom mosaischen Gesetz geforderte Gute zu tun, zieht Paulus nun eine Schlussfolgerung: Das Böse ist in mir vorhanden. Auch hier ist „das Böse“ keine externe Kraft, für die der arme Paulus nichts kann. Das Böse ist Teil seiner Persönlichkeit. Es regiert den ganzen Menschen so allumfassend, dass derjenige, der aus dem Gesetz lebt, es nicht schafft, dieser Sklavenmacht zu entfliehen. Im Vers 23 führt Paulus eine weitere Bildersprache ein, die mit der Sklavensprache verwandt ist: „in Kriegsgefangenschaft geraten“ (gr. aixmalitsoo). Kriegsgefangene wurden im ersten Jahrhundert gewöhnlicherweise in die Sklaverei verkauft.[14] Wiederum beschreibt Paulus, dass die Leidenschaft der Juden für das Gesetz aufrichtig ist (siehe Röm 10,2), aber diese Leidenschaft nicht alles ist, was die Persönlichkeit des gesetzestreuen Menschen ausmacht. So sehr der Mensch auch das Wohlgefallen am Gesetz zum Ausdruck bringt, sein Wesen ist in Kriegsgefangenschaft und an die Sünde als Sklavenherr verkauft worden. Der Kampf zwischen dem Verstand, welches dem Mosaischen Gesetz zustimmt und dem Gesetz der Sünde resultiert in einem uneingeschränktem Sieg für die Sünde.

Dakische Kriegsgefangene (rechts oben), die in einer Festung gehalten und bewacht werden und wahrscheinlich später auf dem Sklavenmarkt verkauft werden. Abguss der Trajansäule, ausgestellt in Archäologischen Nationalmuseum Bucharest.

24 Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes? – 25 Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! Also diene ich nun selbst mit dem Sinn Gottes Gesetz, mit dem Fleisch aber der Sünde Gesetz.

„Ich elender Mensch“ ist eine extrem ausdrucksstarke Sprache der Verzweiflung. Das griechische Wort für Mensch (gr. anthropos) bedeutet im Kontext von Sklavensprache „Sklave“.[15] Paulus führt hier seine Rhetorik der Sklaverei fort und man dürfte diese Worte mit einem lebhaften „ich elendiger Sklave“ übersetzen! Interessanterweise wird das griechische Wort taleipooros („elendig/ erbärmlich“) von Josephus in genau demselben Kontext verwendet, in dem Paulus es hier in Römer 7 benutzt: in einem Kriegsgeschehen werden vollständig Besiegte als Kriegsgefangene in die Sklaverei gegeben. In Josephus finden wir die Worte auf den Lippen des Feldherrn Titus, der die belagerten Reste der jüdischen Streitkräfte in Jerusalem adressiert, nachdem der Großteil der Stadt schon gefallen und der Tempel in Flammen aufgegangen war: „Ihr Elendiglichen (gr. taleipooros), worauf verlasst ihr euch? Ist nicht euer Volk tot, euer Tempel zerstört, eure Stadt meiner Gnade ausgeliefert, liegt nicht auch euer Leben in meinen Händen?… Werft eure Waffen nieder, übergebt eure Sklavenkörper (gr. soomata) [mir in die Sklaverei], und ich schenke euch euer Leben, wie ein nachsichtiger Hausherr, der die Unverbesserlichen bestraft und den Rest für sich selbst bewahrt.“[16]

Auch beim der Genitiv-Konstruktion „Leib des Todes“ bleibt Paulus der Sklaven-Rhetorik treu. Das griechische Wort sooma (von der Elberfelder übersetzt mit „Leib“) ist das Wort, welches in den Delphischen Freilassungsinschriften das übliche und tausendfach verwendete Wort für einen Sklaven ist.

Befreiungsinschriften an der südlichen polygonalen Stützmauer des Apollon-Tempels zu Delphi. Diese Inschriften, welche die typischen Freiheitsklausel „kann tun, was er will“ (cf. Röm 7,15,16,19) beinhalten, benutzen auch das Wort sooma (cf. Röm 7,24) als Bezeichnung für die Sklaven.

Die Manumissionsinschriften beginnen immer mit der Formel „soundso übergibt an Apollo einen männlichen bzw. weiblichen sooma (Sklaven).“ Als Beispiel führe ich hier die Befreiungsinschrift der Meda und des Polykrates:

Als Amphistratos Archon war, im Monat des… Timo, Tochter des Eudikos mit Zustimmung ihres Sohnes Ladikos verkauft ein Sklavenmädchen (gr. sooma gunaikeion, wörtlich: Einen weiblichen Sklavenkörper) mit dem Namen Meda für den Preis von 2 Silber Mina unter den folgenden Konditionen. Entsprechend hat Meda den Verkauf dem Gott anvertraut unter der Verraussetzung, dass sie frei und ungreifbar sei von wem auch immer für alle Zeit und sie kann kann tun, was immer sie will (gr. poiousa ho ka theleei). Bürge gemäß den Gesetzen der Stadt: Dromokleidas…[17]

Als Athambus von Abromachus Archon war, im Monat Theoxenius, verkauft Anaxius Emmenid an Apollo Pythios, mit der Zustimmung seiner Söhne Emmenid und Mnasiotheus, einen männlichen Sklaven (gr. sooma andreion, wörtlich: Einen männlichen Sklavenkörper) namens Polykrates, aus der Nachkommenschaft des eigenen Haushaltes, für den Preis von fünf Minen Silber. Demnach hat Polykrates den Verkauf dem Gott anvertraut, unter der Bedingung, dass er frei ist und nicht gefangen genommen werden kann von irgendjemandem sein ganzes Leben lang und er tun kann […], was immer er will. Bürge nach dem Gesetz der Stadt: Euangelos von Patros. Witnesses: die Prester of Apollo, Andronikos, Amuntas, und der neu eingesetzte Menes, und die Archonen Eudoros, Aristion, Polemarchus; Theudotos von Eiranaios, Nikomachos, Dexippos, Amphistratos, Mantias von Damokhares, Hermaios von Sosthenes, Artemidoros.[18]

Dass die Inschriften von Delphi sooma („Sklavenkörper“) als das reguläre Wort für einen Sklaven verwenden ist nicht verwunderlich. Es ist überall in der antiken griechischen Welt das bevorzugte Wort für einen Sklaven, wenn dieser als kommerzieller Gegenstand, als Eigentum beschrieben werden soll.[19] Paulus ruft deshalb verzweifelt in Röm 7,24 „Ich elendiger Sklave (gr. anthropos)! Wer wird mich davor retten, ein Sklave (gr. sooma) des Todes zu sein?“ Der Genitiv in „Sklave des Todes“ ist ein Genitiv des Besitztums, dass heisst, der Tod ist der neue Herr, der neue Eigentümer des Sklaven. Das Bild, welches Paulus malt, ist schockierend. Solange das Gesetz der Herr über einen Sklaven ist (Röm 7,1, gr. ho nomos kurieuei tou anthropou), ist Sünde ebenso der Sklavenmeister dieser Person (Röm 7,14-23). Nun wird ein dritter Sklavenherr in Röm 7,24 offenbart, entweder weil der „Sklavenherr Sünde“ den Sklaven an den nächsten Sklavenherrn, den Tod weiterverkauft hat, oder weil der Tod, zusammen mit Gesetz und Sünde als Co-Eigentümer erscheinen.

Eingang zum Theater von Butrint mit Freilassungsinschriften in der Eingangsmauer. Hier wurden, wie in Delphi, Sklaven durch fiktiven Verkauf an eine Gottheit freigelassen. In Butrint ist die Gottheit Asklepios. Die Inschriften sind nicht so ausführlich wie in Delphi, ähneln diesen aber in vielen Redewendungen.

Co-Eigentümer, also die Tatsache, dass gleich mehrere Besitzer Eigentümer eines Sklaven waren, kennen wir im Neuen Testament durch ein Sklavenmädchen aus Apg 16,19, welches mehrere Herren (gr. kurioi im Plural hatte). Auch in den Freilassungsinschriften finden wir immer wieder, dass mehrere Personen einen Sklaven freilassen. Als Beispiel soll ein Auszug einer Freilassungsinschrift aus Butrint dienen, hier lassen gleich acht Personen, drei Männer und fünf Frauen, die Sklavin Stratonika frei:

Unter dem Vorsteher Sosipatros, wobei der Priester des Asklepios Menedamos, Sohn des Bojskos Kestrinos, war, wurden diejenigen befreit und dem Asklepios geweiht… Aristokles, Sohn des Alexandros, Philouména, Megalli, Philista, Alexandros, Andriskos, Kleopatra, Neaira [setzen frei] Stratonika…[20]

Unabhängig davon, ob Paulus den Tod hier als unausweichlichen Miteigentümer neben Gesetz und Sünde darstellt oder der gefürchtete Weiterverkauf des Sklaven in den ewigen Tod im Zentrum der Bildersprache steht, die portraitierte Szene ist erschreckend düster: Wer dem Gesetz vertraut wird mit dem ewigen Tod als Sklavenmeister enden. Kein Wunder, dass Paulus so verzweifelt einen Ausweg aus der grauenvollen Situation mit den Worten „wer wird mich retten?“ sucht. Die befreiende Antwort erscheint in Vers 25:

Unabhängig davon, ob Paulus den Tod hier als unausweichlichen Miteigentümer neben Gesetz und Sünde darstellt oder der gefürchtete Weiterverkauf des Sklaven in den ewigen Tod im Zentrum der Bildersprache steht, die portraitierte Szene ist erschreckend düster: Wer dem Gesetz vertraut wird mit dem ewigen Tod als Sklavenmeister enden. Kein Wunder, dass Paulus so verzweifelt einen Ausweg aus der grauenvollen Situation mit den Worten „wer wird mich retten?“ sucht. Die befreiende Antwort erscheint in Vers 25: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“

Gott rettet aus der horrend misslichen Situation aufgrund der Sklaveri unter Gesetz und Sünde nun auch Sklave des Todes zu sein! Er rettet durch Jesus Christus unseren Herrn. Die Wortwahl von Paulus ist hier (wie immer in jedem seiner Briefe) nicht zufällig. Für eine einfache Identifikation hätte es ausgereicht, nur den Namen des Retters, also Jesus oder seinen Titel als Messias, also Christus, zu nennen. Paulus hätte auf vielfältige andere Bezeichnungen zurückgreifen können: Sohn Gottes, Erstgeborener über die Schöpfung, Haupt der Gemeinde. Aber zur Sklavensprache passt ein Herrschaftstitel besonders gut: Jesus Christus unser Herr. Mit dem Wort „Herr“ (gr. kurios) wird nämlich der Herrschaftswechsel angezeigt, der mit dem Glauben an Jesus möglich ist: wer an die freie Rechtfertigung aufgrund der Gnade von Jesus Christus glaubt, ist dann nicht mehr unter Gesetz, Sünde und Tod als Sklaven-Herren, sondern ist unter der Sklavenherrschaft von Jesus Christus. Diese befreiende und leben-gebende Herrschaft von Christus als unseren neuen Herrn wird von Paulus in Römer 8 beschrieben.

Der letzte Teilsatz von Vers 25 wird mit dem griechischen ara oun, einem „Doppelverbinder“ eingeleitet. Es zeigt die schlussfolgernde Konsequenz des gesagten an.[21] Wir haben hier also keine zeitliche Komponenten vor uns. Paulus fällt nicht wieder, nachdem er am Anfang von Vers 25 eine Befreiung von der Macht der Sünde und des Todes erlebt hat, wieder in das alte Muster zurück, also ob Sieg und Niederlage im Kampf gegen Sünde ständige Begleiter des Christen wären. Der großartige Triumph wurde angekündigt: Es gibt eine Möglichkeit, der allumfänglichen Sklavenherrschaft von Sünde und Tod zu entrinnen – Christus als Herr befreit sensationell. Bevor Paulus die grandiose Freisetzung (wieder in typischer Manumissionssprache durch das griechische Wort eleutherooo) in Römer 8 feiert, kommt noch einmal eine Zusammenfassung: auch wenn der Verstand dem Gesetz Gottes als Sklave dient, also zugibt, dass das Gesetz gut, heilig und richtig ist, dient das Fleisch, also die ganze Persönlichkeit, die das Gesetz als selbstgerechten Zugangsweg zu Gott nutzen will, der Sünde. Gott sei Dank gibt es Jesus Christus, unseren Herrn, der uns von der horrenden Sklaverei von Gesetz, Sünde und Tod freisetzt!

[1] William L. Westermann: The Slave System of Greek and Roman Antiquity, 35.

[2] SGDI II.2001 von 197 v.Chr. Online einsehbar unter https://epigraphy.packhum.org/text/241514, Erklärungen und englische Übersetzung online unter http://www.attalus.org/docs/other/inscr_24.html.

[3] SGDI II.2123 von 194 v.Chr. Online einsehbar unter https://epigraphy.packhum.org/text/241630, Erklärungen und englische Übersetzung online unter http://www.attalus.org/docs/other/inscr_24.html.

[4] Siehe S.R. Lelewelyn: New Documents Illustrating Early Christianity. Vol. 6, 52.

[5] Untersuchung der Inschriften mit variierenden grammatikalischen Konjugationsformen von „tun,“ also poieousa, poiousa, poiousan, poieoon, poeoon, poiounta, poieitoo… ho ka theloo. Siehe https://inscriptions.packhum.org/search?patt=ο+κα+θελη.

[6] William L. Westermann: The Slave System of Greek and Roman Antiquity, 35.

[7] Die wichtigsten Argumente dafür, dass Römer 7 Paulus als Christ beschreibt sind die folgenden:

  1. Die Verb-form ändert sich vom Aorist und Imperfekt zur Gegenwartsform ab Vers 14, in den Versen 14 bis 25 finden wir die Verben sechsundzwanzig Mal im Präsens Indikativ. Dies muss absichtlich sein und die Situation des Paulus im Moment des Schreibens des Briefes darstellen, der zu dieser Zeit ja bereits über 20 Jahre lang Christ ist. Allerdings ist die Gegenwartsform der griechischen Verben kein gutes Argument dafür, dass sich die Beschreibung in der Gegenwart abspielen muss. Die Gegenwartsform im Griechischen zeigt nicht notwendigerweise den Ablauf in der Gegenwart an. In Römer 7 haben wir wahrscheinlich mit einem sogenanntem „gnomischen Präsens“ vor uns, also der Präsens hat seinen Zeitaspekt verloren und beschreibt allgemeine, generelle Wahrheiten ohne auszudrücken, dass etwas gegenwärtig passiert. Siehe z.B. Daniel B. Wallace: Greek Grammar Beyond the Basics, 523-25, 531. Der Präsens Indikativ beschreibt hier die allgemein gültige Natur dessen, der unter der Herrschaft der Sünde ist. Der Zustand desjenigen, der ein Sklave der Sünde ist, wird am besten mit Verben in der Gegenwartsform beschrieben.
  2. Nur der in Christus erneuerte Mensch kann sagen, dass er „Wohlgefallen am Gesetz Gottes hat“ (Röm 7, 22) – denn nach Röm 3, 11 „sucht keiner Gott.“ Dagegen kann eingewandt werden, dass in Römer 7 der Jude im Blick ist, der sehr wohl eine innere Zustimmung zum Gesetz hat, denn schließlich ist genau dieser es, der das Mosaischen Gesetz halten will. Der Kontext beschreibt einen Juden, der zustimmt, dass das Gesetz „heilig, gerecht und gut ist“ (Röm 7, 12). Der rhetorische Gegner von Paulus in Römer 6 und 7 ist ja nicht jemand, der keine Interesse am Gesetz hat, sondern leidenschaftlich für das Gesetz ist und das Mosaischen Gesetz unbedingt halten will.
  3. Wenn die Verse 14-25 einen Menschen ohne Christus darstellen, würde man erwarten, dass Paulus den Abschnitt triumphal beendet, denn der Ausweg aus dem Dilemma dieser Verse wird zwar mit einem siegreichen „Jesus Christus unser Herr wird uns befreien“ im ersten Teilvers beschrieben, aber der Vers geht weiter und endet enttäuschend mit „also diene ich nun selbst mit dem Sinn Gottes Gesetz, mit dem Fleisch aber der Sünde Gesetz.“ Man muss gegen dieses Argument einwenden, dass es eine leidliche Unsitte ist, Paulus vorzuschreiben, wie er seine Briefe nach heutigem Geschmack hätte schreiben sollen. Nur weil wir moderne Leser gern einen triumphierenden Abschluss der Passage wünschen, bedeutet dies nicht, dass Paulus sich nach unseren Vorstellungen eines Schreibstils richten muss. Die Passage endet tatsächlich damit, dass „Jesus als Herr“ (Röm 7, 25a) die einzige Lösung für die furchtbare Notlage von Römer 7 ist. Bevor die Lösung aber ausführlich in Römer 8 beschrieben wird, fasst Paulus das Wesentliche des ganzen Abschnitts in Röm 7, 25b noch einmal knackig zusammen. Das darf Paulus, auch ohne dass man ihm vorwirft, er hätte es anders machen sollen.
  4. Das bedeutendste Argument dafür, dass Paulus einen Christen hier in Römer 7 beschreibt, ist nicht exegetisch, sondern existentiell. Die meisten von uns identifizieren uns emotional damit, dass wir oft nicht in der Lage sind, das Gute zu tun, was wir eigentlich wollen. Wir lesen den Text und denken dabei intuitiv „das bin ich, genau so geht es mir“ und schließen aus diesem Grund, dass Paulus hier unsere Situation als Christen beschreiben muss. Allerdings sollte man folgendes beachten. Paulus würde sicher zugeben, dass der Christ immer noch im Kampf mit Sünde und Versagen ist. Die Tiefe der Niederlage und die absolute, uneingeschränkte und hoffnungslose Sklaverei unter dem Herrscher Sünde beschreibt jedoch nicht einen Christen! „Verkauft unter der Sünde“ (Röm 7, 14, gr. pipraskoo, ein typisches Wort der Sklavensprache, elf von 24 Vorkommen dieses Wortes in der Septuaginta beschreiben den Verkauf von Sklaven) beschreibt, dass Sünde der Meister des verkauften Sklaven ist. Dies steht im deutlichen Gegensatz zur expliziten Aussage von Paulus, dass die Gläubigen von „der Herrschaft der Sünde freigesetzt sind“ (Röm. 6, 18, 22, gr. eleutherooo, ein Wort aus der Manumissionssprache, welche die Freisetzung aus der Sklaverei beschreibt). Der Christ ist nicht mehr Sklave der Sünde, sondern hat einen völlig anderen Herrn, nämlich die „freie und geschenkte Gerechtigkeit Gottes“ (Röm 6, 18). Paulus beschreibt mit „unter Sünde,“ „unter Gnade“ (Röm 6, 14; 7, 14) zwei entgegengesetzte Herrschaften, die unvereinbar miteinander sind. Entweder man ist unter der Herrschaft der Sünde oder unter der Herrschaft der Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Beides gleichzeitig ist unmöglich.

[8] Siehe S.R. Lelewelyn: New Documents Illustrating Early Christianity. Vol. 6, 52.

[9] Die folgenden Punkte sind eine Ausführung der vier Punkte in Ibid.

[10] Douglas Moo: The Epistle to the Romans, NICNT, 453.

[11] Edwin E. Blum, „Romans“ in the HCSB Study Bible, 1937. Dieses Verständnis von „Fleisch“ im Sinne eines Menschen, der aufgrund des Mosaischen Gesetzes seine Beziehung zu Gott aufbauen will, wird besonders durch die Beschreibung in Phil 3,3 deutlich. Da stellt Paulus „in Christus Jesus rühmen“ in den direkten Kontrast zu „Zuversicht im Fleisch haben.“ Die beiden Gegenpole schließen sich gegenseitig aus. Entweder vertraut man ausschließlich Christus für eine versöhnte Beziehung zu Gott oder man basiert seine Beziehung mit Gott auf dem Mosaischen Gesetz.

[12] Für das Wort pipraskoo in der LXX siehe z.B. 4 Mose 25,39,42; 5 Mose 15,12. Im Neuen Testament kommt das Wort in Matt 18,25 vor: „Da er aber nicht zahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und die Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen (gr. pipraskoo) und [damit] zu bezahlen.“ Für das Vorkommen des Wortes in den Papyri, siehe zum Beispiel P. Mich. 707.22-24: „Wir, Gaius Aurelius Chairemonianos und Aurelius, beide Söhne von … haben an Valeria Helenous die beiden Sklaven (gr. doulika somata) Eutyches und Isidoros verkauft (gr. pipraskoo), die frei von Epilepsie und äußeren Ansprüchen sind, und wir haben von ihr von Hand zu Hand den Preis für sie, also … und sechzig Drachmen erhalten…“ Online einsehbar unter https://papyri.info/ddbdp/p.mich;15;707. Für den wichtigen Ausdruck doulika somata als regelmäßiges Wort für den kommerziellen Ausdruck „Sklaven“ siehe die Kommentare unter Röm 7,24.

[13] Douglas Moo: The Epistle to the Romans, NICNT, 459.

[14] Siehe https://dierkmueller.de/allgemein/gefangen-gefesselt-als-sklave-abgefuehrt-zwei-archaeologische-sensationsfunde-entfalten-den-kolosserbrief/

[15] LSJ, 141, Nr. 7.

[16] Jos. JW, 6.350.

[17] SGDI II.1708 von 160/ 159 v.Chr. Online einsehbar unter https://epigraphy.packhum.org/text/241218, Erklärungen und englische Übersetzung online unter http://www.attalus.org/docs/other/inscr_24.html.

[18] SGDI II.1709 von 156-51 v.Chr. Online einsehbar unter https://epigraphy.packhum.org/text/241219?bookid=466&location=1677.

[19] Rafel Taubenschlag: Das Sklavenrecht im Rechte der Papyri, in ZRG RA 50, 1930, 141. Llewelyn schreibt, dass sooma der terminus technicus für einen Sklaven ist. S.R. Llewelyn: New Documents Illustrating Early Christianity, Vol. 6, 81. Fußnote 94. Die lex portorii Asiae, Zollgesetze der Provinz Asien nutzen ebenfalls sooma als Beschreibung eines Sklaven (SEG 1180.11-12 (75 v.Chr.)) Besonders illustrativ ist die Substitution von sooma für doulos im Addendum des Zollgesetzes, in Kraft gesetzt im Jahr 5 n.Chr: „Wer immer einen neuen männlichen Sklaven (gr. doulos) oder einen weiblichen Sklaven (gr. doulee) in die Provinz Asien bringt, muss diesem dem Zollbeamten oder seinem Assistenten an diesem Ort anzeigen. Sein Name soll an der Zollstation registriert werden und zwar an den Ort, an denen es Zollstationen der Provinz für Zölle und Einnahmen gibt, dort soll der Sklave (gr. sooma) nachdem er mit dem Siegel der Gesellschaft versiegelt wurde, in die Provinz ein- oder ausgehen“. (Helmut Engelmann: Das Zollgesetz der Provinz Asia, 28-29, Zeile 117-19). Für sooma als Ausdruck für einen Sklaven in den Papyri siehe Friedrich Preisigke: Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden, 566, Nr. 3.

[20] Inschrift 31 in Pierre Cabanes: Corpus des inscriptions grecques d’illyrie méridionale et d’Épire 2, 100-02.

[21] NET Study Bible, 421, Fußnote 10.


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