Kolosser 1, 24 hat vielen Christen zu schaffen gemacht und oftmals nach dem Lesen verdutzt zurück gelassen. Warum liegt auf der Hand: Paulus scheint (entgegen seiner sonstigen klaren Worte, dass das Opfer von Christus vollkommen und ausreichend ist, um durch Glauben allein an Christus allein ewiges Leben zu schenken) hier zu kommunizieren, dass das Leiden von Christus doch nicht ausreichend war und dass Paulus mit seinem Leid, das Leid von Christus zu vervollkommnen versucht: „ich ergänze in meinem Fleisch, was noch aussteht von den Drangsalen des Christus für seinen Leib…“
Gibt es also doch (gemäß Römisch-Katholischer Lehre) einen Schatz der Verdienste, welcher von der Mutter Maria und den Heiligen erworben wurde und der (Katholischen) Kirche übergeben wurde und von den Christen durch Ablässe erworben werden kann? Muss man doch dem nur teilweise effektiven Leiden von Christus durch eigenes Leid Wirksamkeit für die eigene Rettung hinzufügen?
Wer nicht dem klassischen Missverständnis von Kolosser 1, 24 zum Opfer fallen will, muss sich mit der eigentlichen Intention von Paulus mit den Versen aus Kol. 1, 24-29 auseinandersetzen. Aber zuerst einmal der Text:
Ich freue mich aber jetzt in den Leiden für euch und ergänze in meinem Fleisch, was noch aussteht von den Drangsalen des Christus für seinen Leib, welcher die Gemeinde ist, 25 dessen Botschaftsüberbringer ich geworden bin nach der Verwaltung Gottes, die mir für euren Nutzen gegeben ist, um das Wort Gottes zu vollenden: 26 nämlich das Geheimnis, das von der Ewigkeit her und von den Geschlechtern her verborgen war, jetzt aber geoffenbart worden ist an seinen Heiligen – 27 ihnen wollte Gott kundtun, was der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses unter den Nationen sei, und das ist: Christus in euch, die Hoffnung auf Herrlichkeit. 28 Ihn verkündigen wir, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen lehren in aller Weisheit, um jeden Menschen vollkommen [qualifiziert zu erben] in Christus darzustellen – 29 dazu arbeite ich [mühevoll] und ringe kämpfend gemäß seiner Wirksamkeit, die in mir wirkt in Kraft.
Gleich von Anfang an möchte ich klar stellen, was Paulus mit Kol. 1, 24 definitiv nicht ausdrücken wollte. Ganz klar ist, dass das Erlösungswerk von Christus am Kreuz nicht unvollständig oder unvollkommen ist und nachträglich durch igendetwas was Paulus oder wir erreichen, ergänzt werden kann. Und dies aus verschiedenen Gründen:
a) Erstens ist die Hauptaussage des Kolosserbriefes genau diese, dass Christus und Christus allein zum ewigen Erbe qualifiziert und dadurch Seine Vorrangstellung manifestiert (Kol. 1, 9-23). Könnten menschliche Werke zum Erlösungswerk etwas hinzu tun, wäre die ganze Argumentation des Kolosserbriefes hinfällig und vor allem würde die außergewöhnliche Stellung von Christus als erhabener, erhöhter, völlig genügsamer Retter verloren gehen – aber genau diese primäre Stellung von Christus ist das zentralste Argument im Kolosserbrief.
b) Auch überall sonst in seinen Briefen schreibt Paulus klar, dass die stellvertretenden Leiden von Christus am Kreuz ausreichend sind und nicht ergänzt werden können: Röm. 3, 20 – 5, 11; 1 Kor. 1, 30-31; Gal. 2, 15 – 3, 14; Eph. 2, 1-10; etc.)
c) Jeder andere Autor der Schriften des Neuen Testaments sagt genau dasselbe: siehe z.B. Heb. 1, 3; 9, 12-14; 10, 11-14.
d) Jesus selbst sagte „es ist vollbracht!“ (Joh. 19, 39).1
Was bedeutet nun aber, dass Paulus mit seinen Leiden die „Drangsale des Christus ergänzt“? Bei genauer Betrachtung scheint der Text einige Indizien zu geben, wie Paulus verstanden sein will.2 Dem Leser des Griechischen Textes fällt sofort auf, dass Paulus das Wort „ergänzen“ (Gr. antanapleeroo) (in ähnlicher Form) im Vers 25 wiederholt: „…(das Wort Gottes) vollenden“ (Gr. pleerooo). Der Gedanke von „vollfüllen/ ergänzen“ der Leiden Christi wird also im Vers 25 erneut aufgegriffen – hier wird das Wort Gottes „vollgefüllt/ ergänzt.“ Die Verbindung von Vers 24 und Vers 25 ist weiterhin daran deutlich, dass die Leiden des Paulus „für (Gr. huper) seinen Leib“, also „zum Nutzen des Leibes sind“ (24) und Paulus ein Botschaftsüberbringer für (Gr. hees) die Gemeinde, also „zum Nutzen für die Gemeinde“ geworden ist. DAs Griechische huper in v. 24 erfüllt dieselbe Funktion wie das Griechische hees in v. 25. Es existiert also ein Parallelismus der Gedanken in Vers 25 zu Vers 24. Vers 25 erklärt dabei, auf welche Weise Paulus die Leiden des Christus ergänzt.
John Piper erklärt es so: „Die Leiden des Paulus ergänzen die Drangsale des Christus nicht indem sie etwas ihrem Wert hinzufügen, sondern indem sie die Leiden von Christus denen hinhalten, die gerettet werden sollen. Was in den Drangsalen von Christus mangelt ist nicht, dass sie ungenügend in ihrem Umfang sind, als ob sie nicht genügend die Sünden derer bedecken, die glauben. Was an den Drangsalen Christi mangelt ist das der unendliche Wert der Drangsale in der Welt nicht gekannt und geglaubt wird… Die Drangsale des Christus haben Mangel im Sinn, dass sie unter den Nationen nicht gesehen, gekannt und geliebt sind. Sie müssen von den Dienern des Wortes zu den Nationen getragen werden. Und diese Diener des Wortes ergänzen in den Drangsalen des Christus, indem sie diese für andere sichtbar machen.“3
Wenn Paulus in v. 25 schreibt, dass er „das Wort Gottes vollendet“ (Gr. pleerooo ton logos tou theou) meint er damit nicht, dass er Heilige Schrift schreibt, sondern dass die Botschaft, dass das Kreuz Christi Rettung zu ewigen Leben bewirkt, durch sein Leiden deutlich sichtbar wird. Der Inhalt der Botschaft wird durch Paulus nicht ergänzt oder erweitert, sondern seine Wirksamkeit! In diesem Sinne mangelt es an den Leiden des Christus (24). Sie sind zwar vollständig und effizient für diejenigen die glauben, aber wie kommen Menschen dazu, an die rettenden Leiden von Christus zu glauben: indem sie den Botschafter leiden sehen und somit die Leiden des Christus sichtlich dargestellt bekommen.
Diese Interpretation von v. 24 und 25 wird dadurch bestärkt, dass es in den Versen 26 bis 29 weiter um das Thema „Verbreitung der glorreichen Botschaft“ geht. Die Argumentation der Passage ist folgendermaßen: die Leiden des Botschaftsüberbringers Paulus führen dazu, dass der Inhalt der Botschaft, nämlich die Leiden des Christus den Hörern deutlich werden. Die Leiden des Christus wiederum sind die alleinige Ursache und Garantie für ein Leben in Herrlichkeit.
Die Verse 24 bis 29 sind ein integraler Bestandteil der überragender Argumentationsstruktur des Kolosserbriefes. Im Angesicht von Irrlehre und daraus resultierender Zuversichtskrise zeigt Paulus, dass Christus allein zum himmlischen Erbe qualifiziert und deshalb Glaube allein auf Ihn und Sein Werk beruhen soll. In den Versen 24 bis 29 erinnert Paulus die Kolosser aufgrund seiner Leiden an die Leiden von Christus und die Leiden von Christus zeigen wiederum, dass Christus allein zum himmlischen Erbe befähigt.
Kolosser 1, 24-29 greift die rechtliche Einsetzung zum Erbe wieder auf. Bereits in den Erläuterungen zu Kolosser 1, 12 habe ich erwähnt, dass die überragende Bildersprache des Paulus die rechtlich testamentarische Qualifizierung zum Erbe ist. In Kol. 1, 9-12 beschreibt Paulus wie das Verständnis des Willens Gottes (also das Verständnis der Offenbarung Gottes im Evangelium) dazu führt, dass die Kolosser Gott dem Vater danken, dass Er sie in Christus (allein) zum zukünftigen himmlischen Erbe qualifiziert hat. In Kol. 1, 27 wird nun explizit genannt, worin das Erbe besteht: „Herrlichkeit“ (Gr. doxa)! Dieses Wort hat natürlich eine reiche Tradition der Bedeutung aus dem Alten Testament mit und bedeutet die unvorstellbare Wucht der unendlichen Schönheit und Perfektion Gottes. Der paradiesische Zustand grenzenloser Freude, Gott in Seiner Exzellenz zu genießen wurde durch den Menschen durch seine Rebellion verloren gegangen. Das „Angesicht Gottes zu sehen“ (eine synonyme Beschreibung für die Herrlichkeit Gottes (2 Mose 33, 18-23) war in seiner Fülle dem Menschen verwehrt und ist DIE ultimative und grandiose Zukunftshoffnung der Menschen (Offb. 21-22). Es ist Christus inmitten4 der Kolosser, welcher ihr Garant für das zukünftige Erleben der Herrlichkeit Gottes ist.
Weil Christus (und Christus allein) die garantierende Hoffnung auf das himmlische Erbe der Herrlichkeit Gottes ist, schreibt Paulus, dass er IHN verkündigt – das Personalpronomen „ihn“ (Gr. hon) ist an der prominenten ersten Stelle des Teilsatzes und hat den rhetorischen Effekt der Hervorhebung: IHN, IHN, IHN verkündigen wir! Das Ziel der Verkündigung von Christus ist, dass jeder Mensch (der die Botschaft von Christus glaubt) „vollkommen in Christus dargestellt wird“ (Gr. parasteemi panta anthroopon teleion en Christo). „Vollkommen“ bedeutet an dieser Stelle nicht Perfektion oder moralische Vollkommenheit, sondern in Rechtstexten der Antike wird das Griechische Wort teleios im Sinne von „qualifiziert zu erben“ benutzt. Wer teleios ist, hat die rechtlichen Qualifikationen, ein Erbe in Empfang zu nehmen.5 Ähnlich wie in Kol. 1, 12 schreibt Paulus also hier wiederholt, dass Christus und Sein Werk am Kreuz (seine Leiden) dem Glaubenden zum Erbe der Herrlichkeit Gottes qualifizieren.
Mit diesen exegetischen Vorbemerkungen können wir jetzt noch mal die Argumentationsstruktur des Paulus im Abschnitt nachvollziehen.
24 Ich freue mich aber jetzt in den Leiden für euch und ergänze in meinem Fleisch, was noch aussteht von den Drangsalen des Christus für seinen Leib, welcher die Gemeinde ist…
In den vorhergehenden Versen hatte Paulus geschrieben, dass er ein Botschaftsüberbringer-Diener (Gr. diakonos) des Evangeliums ist. Er als Botschafter-Apostel garantiert den Kolossern, dass die Lehre, die sie von Epaphras über das Evangelium erhalten hatten, zuverlässig ist und garantiert, dass ehemalige Feinde Gottes allein durch den Kreuzestod von Christus mit Gott versöhnt werden, um ohne Anklage und heilig am Tag des Gerichts vor Ihm stehen werden (1, 21-23). Die potentielle Frage, was das denn für ein Botschafts-Überbringer grandioser Nachrichten ist, der selbst im Gefängnis sitzt (4, 18) benutzt Paulus, um von der Natur seines Botschafter-Seins (leidender Apostel) auf das Kreuzeswerk von Christus zu zeigen, weil dies (und nur dies) zu ewigen Leben qualifiziert. Aufgrund jüdischer Agitation (wie wir später sehen werden) hatten die Kolosser eine Zuversichtskrise, ob denn Christus allein ausreicht und auch der folgenden Absatz, Kolosser 1, 24-29, hat die rhetorische Absicht, die Kolosser anzuspornen, der falschen Lehre zu widerstehen, und ihre Zuversicht im Evangelium „Christus allein“ wieder zu gewinnen.6
Paulus freut sich an seinen Leiden weil sie einen größerem wertvollen Ziel dienen. In seinem Körper (welches die Leiden physisch erfährt) ergänzt er die Leiden von Christus in dem Sinne, dass seine Hörer des Evangeliums physisch daran erinnert werden, dass Christus am Kreuz gelitten hat und dass dieses Leid rettendes Leid war, also stellvertretendes Leid, welches zur Versöhnung mit Gott geführt hat. Die Leiden des Paulus haben einen realen Nutzen für die Kolosser, für den Leib Christi, für die Gemeinde – auch bei der Gegenüberstellung der Metaphern, wer die Kolosser sind (Leib, Gemeinde) wählt Paulus seine Worte sorgfältig – auch sie übermitteln Zuversicht. „Leib Christi“ ist eine Bestätigung, dass die Kolosser Christus nah und wertvoll sind – sie sind sein eigener Leib; zu Ihm gehörig. Gemeinde (Gr. ekkleesia) ist mit positiven Assoziationen verbunden, denn so wurde das Alt-Testnamentliche Gottesvolk beschrieben: die heilige Versammlung Gottes (Deut. 4, 10; 9, 10; 23, 1; 23, 8; Ri. 20, 2 LXX et al.) Die Kolosser gehören dazu! Sie gehören zum abgesonderten Gottesvolk.
… [Gemeinde] 25 dessen Botschaftsüberbringer ich geworden bin nach der Verwaltung Gottes, die mir für euren Nutzen gegeben ist, um das Wort Gottes zu vollenden:
Paulus beschreibt in diesem Vers wie seine Leiden „für euch,“ (Gr. huper, v. 25) also zum Nutzen der Kolosser sind: er ist ein Botschaftsüberbringer zum Nutzen der Gemeinde geworden (Gr. hoon, v. 26) indem er das Wort Gottes vervollständigt im Sinne, dass sein Leiden das Leiden von Christus präsent werden lässt. Diese Art von Aufgabe hat Paulus gemäß der „Verwaltung Gottes“ bekommen. Leider ist dieses Wort im heutigen Deutsch eher eine schwerfällige Hürde zum Verständnis, anstelle einer eindrücklichen und lebensnahen Illustration. Im ersten Jahrhundert war „Verwaltung“ (Gr. oikonomia) allerdings ein ausdrucksstarkes lebendiges Bild. Oikonomia ist eine Verwalterverantwortung, im säkularen Bereich wurden hauptsächlich Landbesitztümer von den Eigentümern an Verwaltern übergeben, welche dann die Aufgabe hatten den Landsitz und dessen Agrarwirtschaft treu zu verwalten. In den allermeisten Fällen waren die Verwalter Sklaven, die vom Eigentümer als treu eingeschätzt wurden mit dem verwalteten (wertvollen) Gut adäquat umzugehen. Überall im Römischen Reich gab es verwaltete Landgüter, die von eingesetzten Verwaltern bewirtschaftet waren und den Kolossern war die Idee einer Verwalterverantwortung ein alltäglicher Begriff direkt aus ihrem Leben gegriffen.7 Auch wenn im Deutschen das Wort-Konglomerat „nach der Verwaltung Gottes“ als scheinbar unnützer und unförmiger Klotz erscheint, hatte es für die Hörer im ersten Jahrhundert lebendige positive Assoziationen. Gott selbst ist der Besitzer (Urheber des Evangeliums) (sprich: es ist verlässlich) und der Umgang mit dem Evangelium wurde dem treuen Verwalter Paulus anvertraut.7 Auch an dieser Stelle verstärkt Paulus die Gewissheit der Kolosser, dass das Evangelium zuverlässig ist – denn es wurde direkt von Gott gegeben und wird von Paulus treu verwaltet.
26 nämlich das Geheimnis, das von der Ewigkeit her und von den Geschlechtern her verborgen war, jetzt aber geoffenbart worden ist an seinen Heiligen – 27 ihnen wollte Gott kundtun, was der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses unter den Nationen sei, und das ist: Christus in euch, die Hoffnung auf Herrlichkeit.
Das Wort Gottes wird in Vers 26 als ein Geheimnis (Gr. musteerion) beschrieben, im Sinne einer Wahrheit über Gott und Seinen Plan, der im allgemeinen verborgen ist und durch göttliche Offenbarung bekannt gemacht wird (siehe Daniel 2 LXX, wo es das Hebräische raz übersetzt). „Jetzt aber geoffenbart worden ist an seinen Heiligen…“ impliziert sowohl das unglaubliche Vorrecht, wertvolle Offenbarung erhalten zu haben und trägt auch hier wieder den Gedanken der Zuverlässigkeit des Offenbarten – denn es ist nichts menschlich erdachtes, sondern vom ewig wahren und treuen Gott zuverlässig bekannt gemacht. Das Evangelium ist so außerordentlich wertvoll (lasst uns daran erinnern, dass die Botschaft zu ewigen Erbe qualifiziert), dass Paulus es nicht nur mit „Herrlichkeit“ beschreibt, sondern „Reichtum der Herrlichkeit“… eine Aufeinanderhäufung von an sich beeindruckenden Worten, die rhetorisch einen überwältigenden Eindruck erreichen.
Sehr wichtig für das Verständnis der Argumentation ist zu merken, dass das Geheimnis unter den Nationen (!) bekannt gemacht wird. Paulus verwendet den Begriff ethnos entweder direkt für Heiden im Kontrast zu Juden oder für Juden und Heiden zusammen. Das erstaunliche am Evangelium ist, dass die Juden erwartet haben, dass „Göttliche Herrlichkeit, die Bündnisse… und die Verheißungen“ zu Israel und Israel allein gehören (Röm. 9, 4). Obwohl das Alte Testament auch eine zukünftige Hoffnung für Heiden verheißt (Jes. 60, 3; Amos 9, 12), war unvorstellbar, dass Heiden ohne Transformation ins Judentum Anteil am Reich Gottes haben könnten. „Unter den Nationen“ ist das Gegenargument von Paulus gerichtet an die jüdischen Agitatoren, welche durch ihr Beharren, dass die Kolosser sich jüdischen Gesetzten und Gepflogenheiten unterwerfen müssen (2, 8-11; 2, 14; 16-19), die Kolosser in die Zuversichtskrise gebracht haben. Der Reichtum der Herrlichkeit der Offenbarung des Evangeliums ist nicht (nur) unter Juden zu finden, sondern unter den Nationen – Heiden oder Juden! Der Garant für ewige Herrlichkeit, der Garant für ewiges Erbe ist nicht (nur) im Judentum zu finden, er ist inmitten der Heiden!
Der Kolosserbrief auf sieben Worte konzentriert ist dann im Höhepunkt dieses Abschnittes zu finden: Christus in euch, die Hoffnung auf Herrlichkeit! Es ist Christus, das Wissen um Ihn und Seinen Kreuzestod, welcher der Garant für das zukünftige Erbe ist: inhaltlich beschrieben als den unendlich freudigen Genuss von Gottes genialer Schönheit und Perfektion.
Ihn verkündigen wir, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen lehren in aller Weisheit, um jeden Menschen vollkommen [qualifiziert zu erben] in Christus darzustellen – 29 dazu arbeite ich [mühevoll] und ringe kämpfend gemäß seiner Wirksamkeit, die in mir wirkt in Kraft.
Die Erkenntnis der Weisheit, für die Paulus in Kol. 1, 9 gebetet hat, wird jetzt explizit als die Erkenntnis von Christus beschrieben! Kein Wunder, wenn Christus und Christus allein der Garant (i.e. sichere Hoffnung) auf zukünftige ewige Herrlichkeit ist, dass Paulus Christus und Christus allein verkündet! Dabei ist der Tod von Christus so wichtig, dass er Anstrengung auf sich nimmt gegen Widerstand zu lehren und zu ermahnen (nicht nur ein nebensächliches Erwähnen, sondern ein explizites Aufzeigen u.a. auch der Konsequenzen, wenn die Botschaft nicht angenommen wird). Zu beachten ist, dass „mühevolles Arbeiten“ (der Fokus des Wortes kopioo ist nicht nur auf Arbeit an sich bezieht, sondern auf Erschöpfung, Müdigkeit, Ausgelaugt sein im Prozess der anstrengenden Arbeit) ausgeglichen mit „Gottes Kraft in die in mir wirkt“ balanciert. Man könnte meinen, dass Gottes großartige und effektive Kraft erschöpfendes, mühevolles Arbeiten unnötig macht. Aber Gottes wirksame Kraft beseitigt nicht Schwierigkeiten und mühevolles Ringen um Sein Reich, sondern befähigt diese Arbeit um das Ringen für das Reich Gottes und macht menschliche Anstrengung effektiv, übernatürliche Resultate zu erreichen.
Ziel dieses Beitrages war es erst einmal die exegetischen Knoten der schwierigen Passage zu entschlüsseln und aufzuzeigen, wie die Argumentation des Paulus in das Gesamtkonzept seines Briefes passt. Auf die spannenden theologischen Bedeutungen dieses Textes kommen wir im nächsten blog zu sprechen.
1 Als weiterer Grund wird manchmal angeführt, dass Paulus vom Wort „Leiden“ (Gr. patheema) zum Wort „Drangsal“ (Gr. thlipsis) wechselt, wenn er die „Drangsale des Christus“ beschreibt – „Drangsal“ (Gr. thlipsis) wird demzufolge nirgendwo im Neuen Testament für die Leiden von Christus am Kreuz und seinen erlösenden Charakter verwendet. Siehe z.B. Douglas Moo, The Letters to the Colossians and Philemon. 2008, 151. Ob dieses Argument inhaltlich richtig und bedeutsam ist sollte jedoch noch einmal dahingehend untersucht werden, dass patheema und thlipsis im Neuen Testament doch als Synonyme gebraucht werden. Siehe 2 Kor. 1, 5 und die Diskussion bei David Garland, Colossians/Philemon. 1998, 119.
2 Es würde den Rahmen der Betrachtung sprengen, auf die Vielzahl der Theologischen Vorschläge einzugehen, welche als Interpretationsmöglichkeiten angeboten wurden. Exemplarisch benennen möchte ich nur die in der letzten Zeit am häufigsten verbreiteten. A) Die Drangsale Christi könnten einen Hinweis auf die „Drangsale des Messias,“ letzteres technische Terminology in Bezug auf die Geburtswehen des Messias, welche die Heiligen in den letzten Tagen vor dem Kommen der neuen Welt zu ertragen haben. Es soll sich auf eine von Gott festgelegte Summe von Leiden beziehen, welche die Heiligen aushalten müssen, bevor der Messias in Herrlichkeit wieder kommen kann. Das Konzept beruht der „Geburtswehen des Messias“ in Rabbinischen Schriften (Mekilta Vayassa 5 zu Ex. 16, 25; b. Sabb. 118a; b. Pesah. 118a; b. Sanh. 97a). David Garland erhebt zurecht Einwände auf diese Interpretation, denn im Kolosserbrief weist nichts darauf hin, dass Paulus im folgenden auf Endzeitspekulationen eingeht; die Rabbinischen Schriften spät sind und es anachronistisch ist zu behaupten, die Kolosser hätten des Konzept der „Geburtswehen des Messias“ gekannt, etc. David Garland, Colossians/Philemon. 1998, 120. B) Die typologische Auslegung beschreibt die Leiden des Paulus als „ähnlich die des Christus“. Die Leiden von Jesus waren in dieser Betrachtung eine Vorschau auf die Leiden, welche die Nachfolger von Christus ertragen müssen. Obwohl dies ein Element von Wahrheit enthält erklärt es nicht was bei den „Leiden des Christus aussteht“ und wie Paulus diesen Mangel füllt. C) Paulus leidet für Christus im Sinne für Seine Ehre und um Sein Reich voranzubringen. Auch dies ist in sich wahr, aber auch hier erklärt es nicht den Text an sich, nämlich was der Mangel der Leiden von Christus ist und wie Paulus dabei Abhilfe schafft.
3 John Piper, Desiring God: Meditations of a Christian Hedonist. 2003, 268.
4 „In euch“ (Gr. en humin) ist plural, also nicht „Christus in jedem von euch,“ sondern in einem gemeinschaftlichem Sinn. Entweder ist ein gemeinschaftliches Innewohnen von Christus in der Gemeinde gemeint oder (gemäß des Kontextes) wahrscheinlicher das Wissen um Christus in der Gemeinschaft der Gläubigen, also „Christus in eurer Mitte.“
5 Siehe z.B. Moultan & Milligan S. 629 Eintrag 5046. Teileios ist in den den Papyri, bei denen es um rechtliche Angelegenheiten geht im aufgeführten Beispiel P.Oxy 485 30 eine Beschreibung für Erben, die „alt genug sind“, also befähigt zu erben.
6 Für eine Biblische Beschreibung eines Verwalters siehe Lukas 16, 1-9. Eines der besten Erklärung zur Verwalterschaft im ersten Jahrhundert findet man bei Alan Tomlinson „The Purpose and Stewardship Theme in the Pastoral Epistles.“ in Andreas Köstenberger, Entrusted with the Gospel, 2010, 52-83.
7 „Nach der Verwaltung – mir anvertraut“ (Kol. 1, 25) impliziert Treue des Verwalters. Siehe 1 Kor. 4, 2 „Übrigens, was sucht man bei Verwaltern? – Natürlich, dass sie treu sind.“.
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