Im Paradies ist es so richtig schön warm. Diese Überzeugung gründet sich darauf, dass meine Wohlfühltemperatur bei ungefähr 32 °C liegt und ich trotz erwiesener karzinogener Wirkung der UV Strahlen so richtig gern in der Sonne brutzele. Meine Vorstellung von den heißen Sommertagen im Himmel war selbstverständlich Biblisch begründet: wenn im Garten Eden Adam und Eva in der „Abendkühle“ (1 Mose 3, 8) keine Sachen getragen haben (höchstens ein paar dekorative Feigenblätter) und sie nicht gefroren haben, war es selbst am Abend warm und tagsüber muss es dementsprechend noch (angenehm!) heißer gewesen sein.
Mein Fundament für den Traum vom (behaglich) heißen Himmel zerfiel diese Woche in tausend Stücke. Lass es mich dir erklären.
In 1 Mose 3, 8 (nachdem der Mensch durch das Essen der verbotenen Frucht gegen Gott rebelliert hatte) passiert folgendes:
Und Adam und seine Frau hörten die Stimme Gottes, des HERRN, der im Garten wandelte bei der Kühle des Tages. Da versteckten sich der Mensch und Seine Frau vor dem Angesicht Gottes, des HERRN, mitten zwischen den Bäumen des Gartens.
„Bei der Kühle des Tages“ ist eine Umschreibung eines eigenartigen Hebräischen Ausdruckes. Wörtlich steht da (so auch z.B. in der Fußnote der Revidierten Elberfelder Übersetzung angemerkt): „beim Wind des Tages.“ Weder vom Abend noch von Kühle steht also etwas im Text. Weil nun „beim Wind des Tages“ recht unverständlich für den Mitteleuropäer ist, haben sich die Übersetzer überlegt, den „Wind des Tages“ als „Kühle des Abends“ zu umschreiben – in der Annahme, dass im Nahen Osten tagsüber eher Windstille herrscht und Winde eher morgens und abends wehen.
Schon vor 20 Jahren hat Jeffrey Niehaus und jetzt erneut Douglas Stuart darauf hingewiesen,1 dass das Hebräische Wort yom „Tag“ auch die Bedeutung „Sturm“ haben kann.2 „Wind des Tages“ (Hebr. ruach ha yom) müsste also besser als „Wind des Sturmes“ übersetzt werden.
Entschuldige die technischen Details, aber bevor man sehen kann, was eigentlich vorging, muss man noch beachten, dass das Verb, welches Gott im Garten „wandelnd“ beschreibt (Hebr. hlkh) im Hithpiel-Stamm erscheint und das Wort deshalb nicht einen Spaziergang beschreibt, sondern ein wiederholendes Hin- und Hergehen. In einem Gerichts-kontext beschreibt das Wort die „Fakten-suchende“ Aktivität eines Richters oder Anklägers (siehe Zech. 6, 7).
Weiterhin ist anzumerken, dass „die Stimme“ Gottes (Hebr. qol) auch die Bedeutung „Donner“ annehmen kann (so z.B. in 2 Mose 20, 18) – besonders wenn im Textzusammenhang von einem Sturm gesprochen wird.
Neu übersetzt würde 1 Mose 3, 8 deshalb lauten:
Und Adam und seine Frau hörten den Donner Gottes, des HERRN, der im Garten hin- und herging im Wind des Sturmes. Da versteckten sich der Mensch und Seine Frau vor dem Angesicht Gottes, des HERRN, mitten zwischen den Bäumen des Gartens.
Windsturm, Donner, Gewitter sind bekannte Phänomene, die im Alten Testament für eine furchterregende Gotteserscheinung (Theophanie) benutzt werden. So lesen wir zum Beispiel, dass als Gott am Berg Sinai erscheint: „Und es geschah am dritten Tag, als es Morgen wurde, da brachen Donner und Blitze los und eine schwere Wolke lagerte auf dem Berg… und das ganze Volk nahm den Donner wahr“ (2 Mose 19, 16; 20, 18). Hesekiels mächtige Vision von Gott beginnt damit, dass einen Sturmwind sieht: „und siehe, ein Sturmwind kam vom Norden her, eine große Wolke und ein Feuer, dass hin- und her- zuckte.“
Auch wenn die Kombination aus den Hebräischen Worten „Wind“ (Hebr. ruach) und „Sturm“ (Hebr. yom) einmalig in 1 Mose 3, 18 im Alten Testament auftauchen, ist das Bild eines Windsturmes, welches durch Donner (Hebr. qol) begleitet wird3 eindeutig und macht im Gesamtkontext von 1 Mose 3 guten Sinn. Gott hat sich für Seine Reaktion auf den Fall des Menschen nicht Zeit gelassen und erscheint nicht gemächlich zum Abendspaziergang im Garten, als ob Er eine angenehme Tageszeit abwarten wollte, und trifft dann zufällig auf Adam und Eva. Nein, der Mensch rebelliert gegen Gott und dieser kommt manifestiert in einem furchterregendem Gewittersturm als Richter zum Menschen. Der Windsturm zeigt, dass Gott im Zorn kommt, um den Menschen zu richten. Kein Wunder, dass deshalb Adam und Eva Angst haben uns sich vor Gott verstecken. Gericht und kein höflicher Besuch ist das Ziel von Gottes Erscheinung im Garten.4 Gott kommt als Richter, um juristische Auskunft zu erhalten und um zu urteilen. Und der Mensch steht nackt vor Gott als stürmischen zornigen Richter. Während Nacktheit vorher fehlerlose Schuldlosigkeit darstellte, ist sie jetzt das Zeichen für Scham, Schuld und des schutzloses Ausgeliefertsein vor einer überwältigenden Gottesmanifestation.
Das Bild des Kommens Gottes in einem Donnersturm ist furchterregend. Es ist das erste Unwetter im ehemaligen Schönwetterparadies. Und der Mensch steht nackt und allein inmitten des Gewittertornados. Keine gute Aussicht. Die einzige Hoffnung besteht darin, dass Gott den Menschen einkleidet und seinen Zorn in einem Opfer besänftigt und von uns nimmt. Es ist derselbe Gott, obwohl wir einst Kinder des Zorns waren (das heisst, wie Adam und Eva schutzlos dem gerechten Zorn Gottes ausgeliefert), wir durch Jesus Christus unvorstellbare Gnade und Güte genießen werden (Eph. 2, 3-9). Also doch schönes Wetter im Paradies.
1 Jeffrey Niehaus. „In the Wind of the Storm: Another Look at Genesis III 8.“ In:Vetus Testamentum 44.. 1994, 263-67. Douglas K. Stuart. „‚The Cool of the Day‘ (Gen. 3:8) and ‚The Way He Should Go‘ (Prov. 22:6). In:Bibliotheka Sacra 171..“ 2014, 259-73.
2 Es ist nicht ungewöhnlich, sondern eher die Norm, dass ein Wort mehrere Bedeutungen je nach Kontext annehmen kann. So kann im Deutschen die „Gabel“ ein Teil des Tischbestecks, die Aufhängung des Vorderrades eines Fahrrades oder ein Werkzeug zum Wenden von Heu oder Mist sein. Kontext entscheidet, welches Bedeutung das Wort im Satz annimmt. Für yom als „Sturm“ siehe Ludwig Koehler und Walter Baumgartner. Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch zum Alten Testament II. 3. Auflage. 1974, 384. So kann man z.B. Hohelied 2, 17 übersetzen „wenn der Wind (Hebr. yom) weht und die Schatten fliehen…“
3 Für die Kombination vom Donner Gottes (Hebr. qol) mit Wind (Hebr. ruach) und anderen Windsturmphänomenen wie Blitze, Wolken, Regen siehe Jer. 10, 13.
4 Gegen diese Interpretation spricht, dass die Septuaginta (LXX), die Griechische Übersetzung des Alten Testaments 1 Mose 3, 8 übersetzt mit „Gott, der zum Nachmittag (Gr. to deilinon) im Garten umherging.“ Dies kann jedoch dadurch erklärt werden, dass es für Übersetzer schwer ist, sich an seltene Wortbedeutungen wie „Sturm“ für yom zu erinnern, besonders wenn yom im Sinn von „Tag“ sechszehn mal seit 1 Mose 1, 5 bis 1 Mose 3, 7 verwendet wurde. Spätere Übersetzungen wie die Griechische von Theodotion und die Lateinische Vulgata hatten eben auch die LXX als Vorlage und übertrugen den Fehler weiter.
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