Im letzten blog haben wir gesehen, dass die These „Petrus‘ Schritt auf das Wasser war ein Ausdruck seines Zweifels“ nicht haltbar ist. Dass Petrus Wind und Wellen getrotzt hat und das unvorstellbare vollbracht hat, war Gottes Wille, der damit zeigen wollte, wer Jesus ist.
Aber um was geht es eigentlich in der Geschichte? Wohl kaum, uns zu anzuspornen, Abenteuer mit Gott im Glauben zu erleben.1 Was ist denn jetzt eigentlich der Sinn der Geschichte? Und was behauptet, Jesus, wenn er sagt „Ich bin (es)“?
Dazu muss man noch mal einen Schritt zurück gehen und bedenken, dass die Wunder von Jesus sowohl die Nöte der Menschen begegnen, aber immer auch eine konkrete Aussage darüber haben, wer Jesus ist. Die Aussage wird durch ein Wunder konkretisiert, welches Parallelen in der Welt hatte, in der die Zuhörer von Jesus lebten – im Alten Testament.
So ist die Speisung der 5000 nicht nur praktisch hilfreich, denn eine Unmengen von Leuten wurde ohne Arbeitsanstrengung mal so richtig satt (für viele Arme Menschen in der damaligen Zeit, war so viel essen, dass man nicht mehr kann und sogar noch etwas übrig bleibt ungewöhnlich selten) – sondern Jesus will mit der Brotvermehrung bewusst an die übernatürliche Speisung der Israeliten in der Wüste durch Mose anknüpfen (2 Mose 16). Mose war der erste Erlöser Israels, Jesus ist der versprochene letzte Erlöser – weit größer als Moses. Dass ausgerechnet 12 (!) Körbe an Essen übrig bleiben, zeigt, dass das Messianische Reich mit seinem verheißenen Überfluss angebrochen ist und für das Volk Israel in Jesus zur Verfügung steht.
Was soll nun das Laufen auf dem Wasser? Dass Jesus auf dem Wasser geht (er hätte ja auch in der Luft schweben können), soll bei den Jüngern die Assoziationen auslösen, dass im AT Gott der Bezwinger des stürmenden Meeres ist (Ps. 77, 19; Hiob 9, 8; Jes. 43, 16; Jes. 51, 9-10; Hab. 3, 15). Besonders Jes. 43, 16 und Jes. 51, 9-10 sind von enormer Bedeutung für unseren Text, wie wir gleich noch sehen werden. Jesus kann in Matt. 14 also das, was im AT eigentlich nur Gott kann.
Weiterhin werden im Alten Testament Schwierigkeiten und unüberwindbare Herausforderungen oft mit dem Symbol des Meeres verglichen. Für eine eher zweitklassige Seefahrernation wie Israel (wenn überhaupt), war das Meer nicht Lebenselixier, sondern bedrohlich, unberechenbar und gefährlich. Gebete für Befreiung von existentiellen Bedrohungen werden deshalb oft als Gebete um Hilfe in stürmischer See ausgedrückt (Ps. 69, 1-3; 14-15; 107, 23-32). Dass Jesus auf dem Wasser geht zeigt, dass Er der Beherrscher von Naturgewalten ist, die nur Gott in Seiner Souveränität im Griff hat – und dass mit dem Beherrschen der Naturgewalten auch sonstige Mächte – seien sie Nationen, Dämonen, etc. fest unter Seiner Macht stehen. Wenn Jesus dann die Jünger mit „Fürchtet euch nicht, ich bin (es)“ anspricht, ist dies ein Echo der Worte, die Gott schon im Alten Testament benutzt hat. Besonders zu Jesaja 43 gibt es auffallend viele Parallelen! Jes. 43 beginnt mit den Worten „So spricht der HERR,… fürchte dich nicht.“ Obwohl die Worte von Jesus „Ich bin“ (Gr. ego eimi) im normalen Sprachgebrauch einfach nur heissen können, „hey, ich bin’s“ – wenn Anzeichen gegeben sind, dass Jesus mehr damit ausdrücken will, dann ist dies eine Referenz zur Selbstoffenbarung Gottes, der sich selbst mit den Worten „Ich bin“ bezeichnet (2 Mose 3, 14; Jes. 43, 10; 51, 12).
Besonders Jesaja 43 ist die Stelle, welche die meisten Parallelen zu Matt. 14 aufweist und der Hintergrund dessen ist, auf was Matthäus (und Jesus) mit der Auswahl seiner Formulierungen hinweisen will:
– „Fürchtet euch nicht“ Matt. 14, 27 cf. Jes. 43, 1
– „Wenn du durch Wasser gehst, ich bin bei dir“ Matt. 14, 25, 31-33 cf. Is. 43, 2
– „Ich bin“ (Gr. ego eimi) Matt. 14, 27 cf. Jes. 43, 10
– „Herr“ Matt. 14, 30 cf. Jes. 43, 11
– „Rette mich!“ Matt. 14, 30 cf. Jes. 43, 11.
Nachdem Jesus also behauptet, der „HERR“ aus Jes. 43 zu sein und Macht über Naturgewalten zu haben, fragt Petrus, ebenso den Naturgewalten trotzen zu können. Die Motivation für die Bitte von Petrus wird nicht ausgeführt und ist wahrscheinlich für die Geschichte irrelevant.2 Da allerdings die Jünger von Jesus schon eine ganze Weile dazu trainiert wurden, dieselben Wunder zu tun, die Jesus selbst getan hat (Matt. 10, 1), ist es für Petrus vielleicht gar nicht so unnatürlich gewesen, auch an dieser Stelle, die Fähigkeit zu erwarten, Wunder wie Jesus tun zu können.
Auf den Befehl von Jesus, zu Ihm zu kommen, schwingt sich Petrus über das Boot. Wie lange Petrus auf dem Wasser ging, wissen wir nicht. Da er zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Augenmerk auf den bedrohlichen Sturm und die Wellen legt, schlägt Glaube in Angst um und er beginnt zu sinken. „Herr, rette mich“ ist gerade noch zu hören, als die erste Welle schon über seinen Kopf spült. Die starke Hand von Jesus, die sofort zur Stelle ist und Petrus aus dem Wasser zieht, zeigt auch nun, dass Jesus wirklich der „Retter“ aus Jes. 43, 11 ist.
Der Vorschlag, auf dem Wasser zu gehen, kam ursprünglich von Petrus, aber die Antwort von Jesus zeigt deutlich, dass dieser Petrus‘ Vorschlag für gut erachtet. Gleich nachdem der sinkende Petrus aus dem Wasser gerissen wurde, wird er auf einfühlsame Weise von Jesus korrigiert – nicht dafür, dass er anmaßend aus dem Boot gestiegen ist, sondern, dass er in der Gegenwart von Jesus Zweifel an den Fähigkeiten Seines Herrn bekommen hat. Das Versagen von Petrus passierte, weil er auf die natürlichen Umstände mehr geachtet hat, als in Gottes Kraft, die in Jesus wirksam ist. Obwohl Petrus‘ Glaube verbesserungswürdig war, handelte er mit mehr Glaube als die andern Jünger. Es ist kein Fehler, an dieser Stelle die Intention von Matthäus zu sehen, Petrus als Beispiel zu nehmen, an der man Jüngerschaft lernt. Wenn Jesus sich als der Allmächtige HERR offenbart hat, der souverän über den Gefahren der Menschheit steht, dann ist es richtig, auf Christus zu vertrauen, dem diese Gefahren untertan sind. Obwohl Petrus in dieser Geschichte durchaus Vorbildfunktion hat und es die Absicht von Matthäus war, den Leser dazu zu bringen, Christus auf eine tiefere Art zu vertrauen, liegt der Fokus der Geschichte nicht bei Petrus.
Der Held am Ende der Begebenheit, auf den alle Augen gerichtet sind, ist Jesus! Als er das Schiff besteigt, legt sich sofort der Sturm und er wird von den Jüngern als Gottes Sohn angebetet. Dass Jesus auf dem Wasser geht, dass der Sturm sich legt, als Er ins Boot geht, dass Er Petrus befähigt, auf dem Wasser zu gehen und dass Er Petrus rettet (Jesus läuft dabei nicht nur selbst auf dem Wasser, sondern trägt jetzt auch noch das Gewicht des Petrus) zeigt, dass er Gottes Sohn ist und dass die versprochene Heimkehr des Volkes Gottes aus dem Exil (siehe Jesaja) nun in Jesus ihre Erfüllung findet.
Zum ersten mal im Matthäus-Evangelium wird Jesus von den Jüngern mit seinem vollen Titel „Gottes Sohn“ angesprochen und angebetet (Matt. 14, 33). Dass Petrus auf dem Wasser gelaufen ist, hatte einen signifikanten Anteil daran, dass die Behauptung von Jesus „Ich bin“ aus Jes. 43 zu sein, nicht nur intellektuelle Theorie geblieben ist, sondern von den Jüngern jetzt auch geglaubt wurde. Dass Jesus Petrus befähigt hat, auf dem Wasser zu gehen, hat seine Behauptung nun auch bewiesen. Er ist der Sohn Gottes. Er ist der „Ich bin“ und wird deshalb auch von den Jüngern angebetet.
Auf die Frage der praktischen Konsequenz für das Leben eines Christen im 21. Jahrhundert muss die Antwort da liegen, zuallererst Jesus zu vertrauen, dass er der verheißene Retter des Alten Testamentes ist. Christen vertrauen nicht blind. Sie glauben Augenzeugenberichten, die gute Gründe vorbringen, warum Jesus auch wirklich derjenige ist, der er behauptet hat zu sein. Für uns ist „auf dem Wasser gehen“ vielleicht nicht der Beweiß, den wir uns erhoffen von jemandem, der uns zeigen soll, ob er tatsächlich unsere bedingungsloses Vertrauen und Gehorsam verdient. An dieser Stelle müssen wir uns aber erst einmal in die Lage der Menschen im ersten Jahrhundert versetzen. Mit dem „auf dem Wasser gehen“ hat ihnen Gott auf sehr praktische und eindrückliche Weise gezeigt, dass Jesus tatsächlich der Sohn Gottes ist, der die Verheißungen Gottes erfüllt. Auch wenn „Wasserlaufen“ heute für uns eher nach „christlichem entertainment“ klingt, zur damaligen Zeit war es das beste Wunder, was am imposantesten die Jünger davon überzeugt hat, dass Christus Gottes Messiahs ist.
Dass Petrus Vorbildfunktion für die Leser von Matthäus haben sollte, steht außer Frage. Nur weil Matt. 14 von Predigern und Bücherschreibern missbraucht wurde, „Abenteuer“ und Wunder ohne Ende zu erwarten – Wunder, die Gott nie versprochen hat, heisst dies nicht, dass das Vorbild von Petrus bedeutungslos geworden ist. Wer erkannt hat, wer Jesus ist, muss anders leben. Er muss Glauben dafür haben, dass Jesus widrige Umstände und das Chaos des Bösen beherrscht und Seine Kinder daraus rettet. Das heisst nicht, um Alltag sich nie mit Umständen zu arrangieren. Das heisst nicht, ständig selbst ausgedachte Wunder einzufordern. Aber es heisst, nachzudenken, welche Wunder Gott versprochen hat und wie wir entsprechend leben sollen.
In unserer Gemeinde hat gerade ein junger Mann sein Praktikum anstelle bei einer rennomierten Firma, um seine Karriere zu sichern, unbezahlt in der Gemeinde gemacht. Die natürlichen Umstände, dass man, wenn man beruflichen Erfolg haben will, ausnahmslos nach Möglichkeiten suchen muss, die Karriereleiter nach oben zu steigen, waren ihm weniger wichtig als die Herrlichkeit Gottes und das Anliegen, Gottes Reich zu bauen. Ich bin mir sicher, dass Jesus ihn beruflich nicht untergehen lassen wird. Die Zeit wird kommen, in der wir sehen, dass es sich gelohnt hat, für Jesus etwas zu wagen.
Bis dahin lassen wir uns nicht durch exotische Theorien, (sie gehören tatsächlich in die Kategorie Christlicher Humor) dass Petrus in Matt. 14 gezweifelt hat, von Seinem Glaubensvorbild berauben.
1 Kontra John Ortberg, Das Abenteuer, nach dem du dich sehnst. 2002.
1 Craig L. Blomberg, Matthew. 1992, 235..
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