Die falschen Lehren aus der Corona Krise

Die Corona Krise ist vorbei. Gott sei Dank! Es war keine einfache Zeit. Für die einen bedeutete Corona nur einige Unannehmlichkeiten. Maske tragen. Nicht in Urlaub fahren. Ganz ehrlich, es war nervig, es war anstrengend, aber nicht wirklich „Leiden“ im Biblischen Sinn.

Andere hat es härter getroffen. Sie haben Familienmitglieder an Corona verloren, Geschäfte haben aufgrund der Restriktionen gelitten oder Familienunternehmen mussten schließen, Menschen leiden an Long-Covid oder Impfschäden. 

Jetzt wo Corona vorbei ist, haben die meisten zurück in den „Prä-Corona“ Alltag gefunden. Business as usual. Gestern ist vergessen und vorbei. Für andere ist es Zeit für Reflektion. Was hat man falsch gemacht – oder besser: was haben die anderen falsch gemacht?! 

Peter Hahne hat in einem kurzen Artikel die Corona Zeit reflektiert. Ich zitiere seinen Artikel in voller Länge am Ende in einer Endnote.[1]

Für Peter Hahne ist die Lektion aus der Corona Krise: die ganze Kirche hätte mehr demokratischen Widerstand gegen die Corona Regeln der Bundesregierung ausüben sollen – so wie Jesus „Anti-Establishment“ gelebt hat und Bonhoeffer im Widerstand gegen die Nazis war. Man hätte radikaler die Widerstandsphilosophie von Bonhoeffer umsetzen und sich gegen alle Corona Einschränkungen wehren sollen. 

Ich finde, dies sind die falschen Lehren aus der Corona Krise. In seiner Argumentation begeht Peter mehrere logische Fehler. 

Erstens, schreibt Peter Hahne „(Jesus) heilte und tat Wunder – ganz ohne Abstand, Spritzen und Masken… Kannte er denn keine Inzidenzwerte, kein Robert-Koch-Institut und keinen Gates oder Drosten?“

Hahne impliziert damit: Jesus hat keinen Abstand, Spritzen oder Masken gebraucht, also wären wir auch ohne ausgekommen. Zur Zeit von Jesus gab es kein RKI, also können wir es auch abschaffen. Der logische Fehler besteht darin, aus dem, was es zur Zeit von Jesus nicht gab, auf unsere Zeit zu schließen und zu behaupten, dass die Nichtexistenz von Dingen zur Zeit von Jesus unsere heutige Norm sein sollte. Das Problem der Logik liegt jedoch daran, dass es zur Zeit von Jesus auch kein Corona gab! Würden wie die Logik von Peter Hahne tatsächlich anwenden, müsste man auch argumentieren: Jesus hat nie Urlaub gemacht, er war 24/7 für andere da. Also sollten wir unseren Urlaub auch streichen und rundum für das Wohl anderer zur Verfügung stehen. Jesus ist auch ohne Autos und Flugzeuge gut zurechtgekommen, also sind moderne Fortbewegungsmittel böse und gehören abgeschafft. Wenn Peter nach der Logik leben will „Jesus heilte auch ohne Maske“ muss er auch auf Desinfektionsmittel, Apotheken und Hörgeräteakustiker verzichten und darf Teil der Amish Community in den USA werden. 

Zweitens, nach der Logik von Peter ist Widerstand gegen die Staatsgewalt das einzige Prinzip nachdem Christen handeln sollten, wenn sie Gesetze unangenehm oder ungerecht empfinden. Frei nach dem Motto „Jesus hat sich immer gegen das Establishment aufgelehnt“ und „mein einziges Vorbild aus der Kirchengeschichte, welches auf alle Situationen anwendbar ist, ist Bonhoeffer“. Auch hier ist Peters Logik fehlerhaft. Erstens, Jesus‘ grundlegendes Lebensprinzip war nicht „immer gegen das Establishment“. Er hat sich zuweilen dem Establishment untergeordnet, obwohl es nicht notwendig gewesen wäre. Jesus zahlte die Tempelsteuer, obwohl er eigentlich davon befreit gewesen wäre (Matt. 17, 24-26). Der geheilte Aussätzige wurde gemäß „den Gesetzen des Establishments“ nach Jerusalem zur Reinigungszeremonie des Tempels geschickt (Mar. 1, 40-45). Jesus fordert seine Jünger explizit auf die berühmte „extra Meile“ zu gehen (Matt. 5, 41). Im Kontext der damaligen Zeit bedeutet dies, wenn ein Soldat der römischen Armee, welches dein Land als Prokurat „besetzt“ hält auffordert, seine Ausrüstung nach geltendem Recht und Gesetz eine Meile zu tragen, der Nachfolger von Jesus freiwillig das doppelte für die Regierung tut! 

Weiterhin würde sich Bonhoeffer wahrscheinlich im Grab umdrehen, wenn er mitbekommen würde, wofür sein vorbildlicher Widerstand heute alles missbraucht wird. Bonhoeffer rang selbst intensivst damit, wann der Zeitpunkt gekommen ist, dass man aufhört, sich der Staatsgewalt unterzuordnen. Für ihn war Widerstand ein echtes Dilemma, keine Selbstverständlichkeit! Und zwar weil es eigentlich die unnatürliche Lebensweise des Christen ist – nicht die Natürliche! Nur die Großartigkeit des Übels des Dritten Reiches hat Bonhoeffer dazu veranlasst zu schlussfolgern, dass Widerstand in extremen Ausnahmefällen (!) der Gott-gefälligere Weg ist als Unterordnung gegenüber der Staatsgewalt. Was Bonhoeffer tat, war angesichts eines massenmordenden Regimes Juden zur Ausreise zu helfen und ein Attentat gegen Hitler zu planen. Seine Umstände waren völlig anders und sind nicht vergleichbar mit der Corona Zeit und ihren Schwierigkeiten. Wie Bonhoeffer während der Corona Zeit gehandelt und gesprochen hätte ist völlig unbekannt. Es ist einfach nicht legitim, Helden der Kirchengeschichte aus ihrem Kontext zu reißen und sie als uneingeschränkte Vorbilder für unsere eigenen Probleme heran zu ziehen. Nach dieser Methodik hätte man auch unser großes Vorbild Martin Luther en mass zitieren können, der sich (im Bauernkrieg) bedingungslos hinter die Fürsten und Regenten gestellt hatte. 

Die Bibel beschreibt beide Positionen: Es gibt Zeiten, wo man „Gott mehr gehorchen muss als Menschen“ (Apg. 5, 29) UND es gibt Zeiten wo man sich den „übergeordneten staatlichen Mächten unterwirft“ (Röm. 13, 1). Übrigens gilt letztere Aufforderung nicht nur, wenn man den staatlichen Mächten zustimmt. Der Grund warum Paulus Römer 13 schrieb, war genau der, dass Christen in Rom staatliche Regenten als korrupt (und das waren sie außerordentlich mehr als jede Bundesregierung) und Erlasse als unvorteilhaft und ungerecht empfunden hatten. Wenn wir etwas in der Corona Krise gelernt haben, dann das: es geht nicht, Bibelstellen nach Belieben für seine eigenen politische Überzeugung zu missbrauchen! Man muss mit einem kühlen und rationalen Kopf miteinander nach den Indizien ringen, wann und warum der Zustand eingetreten ist, dass man Gott mehr gehorcht oder dass man sich trotz eigener Unannehmlichkeiten unterordnet.

Drittens, Peter vertritt eine „Gott ist mit mir und meiner Meinung“ Theologie. Nach seiner Auffassung hat sich Gott klar positioniert. Auf der einen Seite gibt es die große Masse der Bevölkerung (und Christen), kriminelle und rechthaberische Politiker, allesamt „mörderische Wahnsinnige, die mit ihrem Auto auf dem Gehweg Leute über den Haufen fahren“. Und auf der anderen Seite? Peter Hahne und eine Handvoll echter Freunde im Widerstand und natürlich ist Gott auf ihrer Seite. Ich frage mich, wie man als Christ zu so einer rechthaberischen Diffamierung aller andersdenkenden kommen kann. Haben wir wirklich aus der Geschichte nichts gelernt? Ist das erschreckende Beispiel der Kreuzzüge des Mittelalters und das „Waffen-Segnen der Priester“ aus dem ersten Weltkrieg nicht deutlich vor uns, welches uns warnen sollte, nicht zu vorschnell anzunehmen, dass alle, die nicht mit meiner Meinung überreinstimmen, kriminelle und Gott-verlassene Übeltäter sind? Lieber Peter, denkst du wirklich, dass sich der Allmächtige, der keine Silbe über Corona Maßnahmen gesprochen hat, sich so instrumentalisieren lässt?

Viertens, die Lehre von Peter aus der Corona Zeit ist: mehr Radikalität, denn es gibt nur eine richtige und falsche Position in Fragen Corona-Politik und dies steht auf derselben Ebene wie „biblisches Evangelium“ und die Frage der Exklusivität von Jesus. Wer auf der falschen Seite der Corona-Meinung steht ist in derselben Kategorie wie derjenige, der Jesus als „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ablehnt. Hier macht Peter den fatalen Fehler, essentielle Glaubensgebote von ethisch neutralen Dingen nicht unterscheiden zu können. Es gibt in der Heiligen Schrift klare Offenbarungen über manche Dinge, die wir glauben müssen und nach denen wir handeln müssen – ohne Diskussion und ohne wenn und aber. In diesen Sachen ist radikaler Glaubensgehorsam gefragt. Diese Dinge sind vom Wort Gottes klar benannt und ihrer Wichtigkeit entsprechend betont. Dazu gehören die Exklusivität von Christus als der einzige Weg zur Versöhnung mit Gott, sein stellvertretendes Sühneopfer, seine siegreiche Auferstehung vom Tod, Glaube allein an Christus allein als der Weg zur freien Rechtfertigung mit Gott, und vieles andere mehr. 

Aber nicht alle Dinge des alltäglichen Lebens, selbst scheinbar enorm wichtige, sind von Gott klar und unwiderruflich benannt. Ein herausragendes Beispiel in Neuen Testament ist die Frage, ob Christen den Sabbath halten sollen oder nicht. Heute hat das nicht mehr die Brisanz, aber zur Zeit des Paulus haben sich die Christen in Rom bis fast zur Gemeindespaltung zerstritten. Die Antwort von Paulus war jedoch nicht eine dogmatische Festlegung, was richtig oder falsch ist, sondern die Aufforderung, dass jeder nach seinem Gewissen freiheitlich handeln sollte und beide Parteien: die Sabbath-Halter und die Sabbath-Nicht-Halter einander annehmen sollten (Röm. 14, 5-6). Die Frage nach dem Sabbath war eine sogenannte adiaphora, was richtig und was falsch ist, war von Gott nicht festgelegt. Einige der Entscheidungen der Corona Problematik fallen definitiv in diese Kategorie. Die Frage nach der Impfung war (abgesehen von medizinischem Personal) eine adiaphora-Entscheidung: Gott hat seine Meinung dazu nicht offenbart und es blieb dem freiheitlichen Gewissen der Christen überlassen, wer sich impfen lässt und wer nicht. Keine Entscheidung ist besser als die andere und keiner der anders in dieser Frage entscheidet, sollte seinen Bruder darüber richten. Nach dem Prinzip des Paulus in Römer 14 hätte ein Mensch, der sich aus Vorsicht für seine eigene Gesundheit und zum Schutz anderer sich impfen lässt, vor Gott wohlgefällig verhalten. Derjenige, welchem die Gefahren der Impfung zu riskant waren oder der die Impfung als unnötig für sich und die Gesundheit anderer eingeschätzt hat und sich nicht impfen lassen hat, hat ebenso wohlgefällig vor Gott gehandelt. Beide Parteien sollten in Liebe einander annehmen.

Wenn wir Christen aus der Corona Zeit etwas lernen, dann dies: in adiphora sollten wir weniger radikal handeln als mehr! Übereinstimmung oder Ablehnung der Corona Maßnahmen der Bundesregierung zählen nicht zu den Dingen, welche radikalen Glaubensgehorsam erfordern. Man kann eine starke Meinung darüber haben, aber die Frage nach der Richtigkeit der Gesetze der Regierung zählt nicht zu den essentiellen Glaubensdogmen oder ethischen Verhaltensweisen, nach denen Christen verbindlich leben sollten. Für die nächste Krise brauchen wir nicht mehr Radikalität, sondern einen kühleren Kopf und gegenseitige Annahme, wenn Christen unterschiedlicher Meinung sind.

Fünftens, Peter begeht den rhetorischen Fehler des Strohmann-Prinzips. In der Lehre der Rhetorik beschreibt dieses Prinzip, dass man den Gegner schnell diffamieren kann, wenn man Extreme der gegnerischen Position als typisch für die ganze Position beschreibt. Peter macht dies, indem er das Beispiel des trauernden Hüft-Operateurs beschreibt, der nicht zu seiner 92-jährigen Mutter im Pflegeheim darf. Die Argumentation geht folgendermaßen: „Seht ihr Leute, welche eklatante Ungerechtigkeit geschehen ist? Der Arzt darf nicht mehr zu seiner sterbenden Mutter. So menschenfeindlich sind alle Corona-Regeln gewesen. Widerstand gegen alle Corona Regeln ist die einzig richtige Antwort.“ Ja es stimmt, dass manche Corona Regeln absolut übertrieben waren und zu unnötigem menschlichen Leid geführt haben. Aber nicht alle! Die völlig übertriebene Isolation der Altenheime und das nicht bedachte menschliche Leid, welches dadurch verursacht wurde, darf absolut zurecht angeprangert werden. Und gegen dieses Unrecht hätte man sich vielleicht tatsächlich in zivilem Ungehorsam widersetzen sollen. Ich hätte dies wahrscheinlich gemacht, wenn meiner Mutter im Altenheim gelegen hätte. Ich wäre übers Fenster eingestiegen. Aber nur weil punktuell die Regierung falsche Entscheidungen getroffen hat, ist es nicht fair, alle Corona Massnahmen komplett abzulehnen und die verantwortlichen Politiker als „mörderisches“ Regime in Generalverdacht zu verdammen.

Peter ist Journalist und rhetorisch gewieft. Er weiß, wie man argumentativ punktet und die Emotionen seiner Leser auf seine Seite zieht. Aber seine rhetorischen Kniffe sind nicht gerecht und beschreiben nicht fair die Komplexität der Corona Krise über zweieinhalb Jahre. 

Es ist einfach nicht wahr, nicht fair und für das Wohl der Menschen nicht hilfreich, komplexe Sachverhalte ins Extreme zu vereinfachen. Corona war weder nur ein Schnupfen noch eine Menschheit auslöschende Seuche. Es ist das Übertreiben ins Extreme, welches Peter Hahne für seine Zwecke benutzt, was wir gerade lernen sollten, bei der nächsten Krise nicht zu tun: Fakt ist, dass die ersten Varianten des Corona Virus schlimmere Krankheitsverläufe verursachten und eine höhere Sterblichkeit bewirkten als spätere Varianten. Spätere Mutationen des Virus waren ansteckender, aber weniger gefährlich. Gott sei Dank! Es hätte auch anders kommen können. Keiner wusste das damals und aus der heutigen Sicht zu argumentieren „alles ist gut gegangen“ ist schlaumeierhaft. Ich stimme mit mancher Kritik an den Corona-Gesetzen überein. In vielen Entscheidungen hat die Bundesregierung mit Übervorsicht übertrieben und die Auswirkungen ihrer Legislative nicht bedacht. Vor allem nachdem es eine Impfung gab, hätte man meiner subjektiven Meinung nach auf das freiwillige Selbstschutzprinzip setzen sollen und die meisten Corona Regeln abschaffen sollen. Vielleicht darf man aber auch nicht vergessen, dass die Übervorsichtigkeit der Regierung einen Grund hat: Ich spekuliere, aber ich denke, es ist die kritikfreudige Meckerei an allem und allen der Deutschen. Die Abrechnung mit der Regierung wäre grauenhaft gewesen, wenn die Krankenhäuser tatsächlich überfüllt gewesen wären und Menschen vor den Toren abgewiesen worden wären! Der Aufschrei, wie wenig die Politiker sich kümmern, wäre brutal gewesen. Ja, in Albanien hat man zum Beispiel zeitig die Maskenpflicht abgeschafft. Aber dort hat man auch kommentarlos hingenommen, dass Hospitäler kranke Leute einfach nicht angenommen haben. Nein, es hilft nicht, die Welt nur in Freund in Feind einzuteilen, wenn schwierige und komplexe Entscheidungen getroffen werden müssen.

Eine der Ausführungen, die von Peter ins Extreme verdreht werden ist seine Analyse der Kirchen in der Corona Zeit. Er schreibt: „Wo sind die… die an der Seite ihres Nächsten bleiben in Alter und Einsamkeit in Krankheit und im Sterben? So, wie Christen das seit 2000 Jahren tun. In Pest und Cholera, im 30-jährigen Krieg, in Stalingrad oder in den KZs. Sie waren immer nah bei den Menschen. Ohne Abstand, das gebot ihnen der Anstand. Nur in den letzten drei Jahren nicht. Eine von Gott verlassene Kirche hat den Menschen verlassen. Gottes Bodenpersonal hat versagt.“ Wer das liest, muss tatsächlich denken, dass die gemeingefährliche Kirche die Menschen total in Stich gelassen hat. Die Kirche hätte ohne Abstand, ohne jegliche Einschränkungen so weiter machen sollen wie bisher – „wie in den KZs, wo die Kirche ohne Abstand bei den Menschen war.“ So einfach, so verdreht und so negativ waren aber die Umstände nicht. Und auch nicht die Reaktion der Kirchen auf die Corona Krise. Erstens, die Corona Krise war nicht die Cholera. Und bitte, lieber Peter, erzähl mir nicht, dass du, nur weil es zu Jesu Zeiten keine Schluckimpfung gegen Cholera gab, die Schluckimpfung den armen Bevölkerungsschichten in Afrika vorenthalten würdest. Und bitte erzähl mir nicht, dass nur weil Jesus vom selben Wasser wie die Frau am Brunnen in Johannes 3 getrunken hat, du aus menschlicher Nähe von demselben verunreinigten Wasser trinken würdest. Irgendwann muss der Verstand einsetzen und man muss sehen, dass Corona 2020 nicht der Dreißigjährige Krieg war und dass zumindest am Anfang der Krise ein gewisses Maß an Abstand vernünftige Vorsichtsmaßnahme war. Jede Krise hat ihre Eigenheiten und erfordert Weisheit im Umgang damit. Es ist völlig absurd am Anfang der Krise sich festzulegen: „wir machen das einfach wie im 13. Jahrhundert bei der Pest.“

Ich kann nicht für andere Kirchen sprechen, ich kann nur meine eigene sehen, aber in meiner Kirche gab es keine tausende arme und alte Leute, die sich gern in Großveranstaltungen treffen wollten und wir Pastoren haben in grausamer Weise es ihnen verboten. Unsere älteren Menschen wollten gar nicht die restriktionsfreie Veranstaltung! Sie wollten geistliches Leben, Nähe UND sinnvollen Schutz ihrer Gesundheit. Sie wollten, dass wir im Gottesdienst Maske tragen. Und wir haben sie auch nicht in Stich gelassen, weil wir eine Maskenpflicht im Gottesdienst hatten, sondern haben sie sehr wohl einzeln besuchen können und besucht. Nein, Peter, kein Christ in Afrika macht bei einem Cholera-Ausbruch so weiter wie bisher. Jeder vernünftige Mensch trifft Vorkehrungen, wie man Menschen in Zeiten von Cholera Endemien hilft und sich trotzdem schützt. Und nein, lieber Peter, unsere Kirche hat auch die Nichtchristen während der Corona Zeit nicht im Stich gelassen. Ja, wir hatten für eine Zeit lang nur Online Gottesdienste oder Gottesdienste mit Maske. Aber keiner meiner Nichtchristlichen Nachbarn hat sich darüber beschwert! Ganz im Gegenteil: sie haben sich über uns Christen argwöhnisch unterhalten, dass sie nicht ins Kino gehen können und wir Christen eine Sonderwurst machen und uns treffen. Die Situation war komplexer als das völlig irre Zerrbild von Christen, die ohne Abstand und ohne Selbstschutz ihre Geschwistern im KZ besucht haben. Erstens haben sie nicht und zweitens hinken die Beispiele und verdrehen ins Extreme, wie es wirklich war. Es war nicht so, dass eine sterbende Welt sich nach den Gottesdiensten der Christen gesehnt hat. Es war nicht so, dass nur weil es keine großen Gottesdienste gab, die Kirche aufgehört hat zu existieren und aufgehört hat, gutes zu tun. Es ist viel gutes außerhalb großer Veranstaltungen in den Kirchen passiert.

Ja, man kann durchaus kritisieren, wie Peter das meiner Meinung richtig macht, dass die Restriktionen für Altenheime viel zu eng waren. Aber von den Altenheimen auf die Gesamtsituation zu schließen und zu behaupten, dass die Kirche (außer der Widerständler) komplett versagt hat und ohne jegliche Einschränkungen einfach hätte weiter machen sollen ist eine absurde Verallgemeinerung. Ich kenne viele Kirchen, die sich sehr viel Mühe gegeben haben, sowohl für ihre Mitglieder und Fremde da zu sein und gleichzeitig sinnvolle Schutzmassnahmen einzuhalten. Sie haben eigentlich Lob verdient für ihre außerordentlichen Anstrengungen und sollten nicht pauschal verdammt werden, dass sie nicht extrem genug waren und die Sondermeinung von Peter nicht geteilt haben und einfach so weiter ihre großen Gottesdienste vorgeführt haben. Der Trugschluss in Peters Argumentation besteht weiterhin darin, Kirche nur auf die geöffnete Kirchentür für Großveranstaltungen zu beschränken. Corona war für viele Kirchen ein Wachrütteln ob sie mit ihren Programmen „wirklich“ bei den Menschen sind. Ich kenne viele Kirchen, die nach der Corona Krise an Mega-Events abgespeckt haben und sich dafür nach echter Nähe zum Nächsten und den Nachbarn ausgestreckt haben und dies schon während der Corona Zeit praktiziert haben. Ich weiss nicht, welche Kirchen Peter Hahne beschreibt, aber die, welche ich kenne sind kein „Gott-verlassenes Bodenpersonal“, nur weil sie mal für 60 Minuten eine Maske im Gottesdienst getragen haben.

Sechstens, Peter verunglimpft seine Gegner aufgrund ihrer Verhaltensweise, macht aber genau dasselbe wie diejenigen, die er beschimpft. Konkret beschwert er sich, dass „man in Freund und Feind unterschieden hat… nach Maskenarten und G’s…“. Nach dieser punktuell zutreffenden Kritik erwartet man jedoch zurecht einen versöhnenden Artikel, der nicht nach Freund und Feind unterscheidet. Das Gegenteil ist der Fall. Wer die Corona Entscheidungen der Regierung für richtig hält, gehört zur „Sekte Coronas“. Nur zur wiederholten Klarstellung: ich selbst habe viele Gesetze und die schleppende Abschaffung der Corona Regeln sehr kritisch gesehen. Aber gewinnen wir wirklich Andersdenke mit Beschimpfungen wie diese? Muss man mit seiner durchaus angebrachten Kritik rhetorisch über die Stränge schlagen? Helfen die Beschimpfungen wirklich, Politiker zu echter Buße zu bringen? Ist die Anforderung des Evangeliums nicht „Gegner in Sanftmut zurechtzuweisen“ (2 Tim. 2, 25) anstelle die Hürde für Buße durch Beleidigungen noch höher zu hängen?

Wenn wir etwas aus der Corona Krise gelernt haben, dann das: Wir Christen sollten uns nicht auf dieses Niveau der Beschimpfung Andersdenkender herablassen! Ich wundere mich nicht, warum Peter, wie er schreibt „viele Freunde verloren hat“. Mit diesem Umgangston ist es schwierig, Freund zu bleiben. Viele neue Freunde hat Peter gefunden: Die, welche genau seiner Meinung sind und ihn in seiner Meinung ermutigen. Diese Art von Freunden zu finden ist einfach. Es sind aber wahrscheinlich eher Feinde seiner Feinde anstelle der wahren Freunde, die er sucht. Ich wette eins: sobald die nächste Krise kommt und die Meinung die Freundesschaar spaltet, sortieren sich Peters Freunde wieder neu. Freunde sind nicht Freunde, weil man mit ihnen einer Meinung ist. Und ein Freund ist man schon gar nicht, wenn man nach einem Streit nachtritt und alte Freunde als „nie echte Freunde“ beschimpft. Echte Freunde sind die, welche Freunde bleiben, auch wenn man sich in adiaphora hitzig streiten kann: Weil man weiß, man streitet über Nichtessentielles! 

Wenn wir Christen etwas in der Corona Krise gelernt haben, dann das: uns verbindet mehr in Freundschaft, Liebe, Respekt und Dankbarkeit als uns durch politische Meinung trennen kann. 

Ich schätze Peter Hahne außerordentlich. Besonders als ich in den 90-er Jahren ein junger Christ war, hat mich Peter mit seinem mutigen Bekenntnis zu Jesus in der Öffentlichkeit oft ermutigt. Wir sind uns leider nie persönlich begegnet. Uns verbindet jedoch mehr als eine Freundschaft: Wir sind geliebte Brüder. Wir sind beide unverdient Co-Erben unvorstellbarer Herrlichkeit. Wir sind beide adoptierte Kinder des himmlischen Vaters. Daran ändert sich auch nichts, selbst wenn ich bezüglich des Artikels von Peter Hahne völlig anderer Meinung bin. Mein Respekt und meine Dankbarkeit ihm gegenüber ist trotz meiner Meinungsverschiedenheit wegen des Artikels nicht weniger geworden. Ich mag ihn trotzdem herzlich gern. Wenn wir etwas in der Corona Krise gelernt haben, dann das: Man kann (und muss) trotz intensiver Meinungsverschiedenheiten über adiaphora herzlicher Freund mit Andersdenkenden sein. Die Welt aufgrund von Meinung über eine langfristig gesehen relativ unwichtige Sache in Freund und Feind einzuteilen ist traurig und wohl alles andere als das „Biblische Evangelium“, welches Peter sich so gern am Anfang des Artikels wünscht.

Resümee: ich stimme mit Peter Hahne überein: Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ihm sollten wir radikal nachfolgen und bekennen. Wir stimmen auch überein, dass da wo wir als Leiter der Kirchen in der Corona Krise Fehler gemacht haben, sollten wir uns aufrichtig entschuldigen und Buße tun. 

Bei den anderen Dingen habe ich konträre Lehren aus der Corona Krise gezogen:

a) Ich würde weniger radikal meine adiaphore politische Meinung vertreten als vorher. Ich frage mich wirklich, warum man Folgendes eigentlich viel zu selten gesehen hat: Christen die Impfgegner und Impfbefürworter waren, die sich in Respekt und mit persönlicher Zuneigung miteinander gesessen haben und sich über Vor- und Nachteile ausgetauscht haben. Ich kenne Pastorentreffen, wo wir mit viel Nachsicht, Rücksichtnahme miteinander um Lösung für schwierige Entscheidungen gerungen haben. Wir waren oft gegenteiliger Meinung, aber in den Treffen haben wir vorsichtig formuliert, waren freundlich im Ton miteinander, ja wir hatten sogar jede Menge Humor in unseren Vorträgen und haben gemeinsam trotz unterschiedlicher Vorstellung gelacht, unsere Familien gesegnet und uns herzlich gedrückt. Warum haben wir dies viel zu wenig gesehen, als es um Masken und Impfung ging? Weil die Stimmung von vornherein zu radikal aufgeheizt war. Jede Partei hat gedacht, dass sie radikal denken und handeln muss, um Gott zu gefallen. Fehlanzeige. Es ging um weniger, als wir gedacht haben. Etwas mehr Besonnenheit und Toleranz hätte gutgetan. Unser Pulver für Radikalität hätten wir uns aufsparen sollen für die wirklich wichtigen dogmatischen und ethischen Themen unserer Zeit.

b) Ich würde sensibler sein für Leid, welchem wir schutzlos ausgeliefert sind. Unsere Generation weiß nicht mehr, wie man Leid erträgt. Im Kontrast zur Biblischen Norm denken wir, dass Gott uns von allem Leid befreit. Besonders der Anfang der Corona Zeit haben wir jedoch gemerkt: zu einem gewissen Grad ist der Mensch schutzlos Leid ausgeliefert. Es gab im März 2020 keine Lösung für die bevorstehende Krise. Ich würde gern die hochgelobten „Kritiker der ersten Stunde“, welche Peter Hahne beschreibt, treffen und sie fragen, welche genialen Vorschläge sie denn in der ersten Stunde zur Bewältigung der Herausforderung hatten. Sie heißen heute immer noch „Kritiker der ersten Stunde“ anstelle „Innovative der ersten Stunde“. Warum? Weil außer Kritik nichts gekommen ist. Das ist übrigens das erste Mal in der Kirchengeschichte, dass Kritiker von manchen Christen zum Heldenstatus erhoben werden. In den letzten 2.000 Jahren waren es immer Menschen, die unter Aufopferungsbereitschaft aktiv zur Lösung von Problemen beigetragen haben, anstelle Machthaber nur zu kritisieren. Kritiker sein ist ziemlich einfach. Zu wenig, um Heldenstatus zu erlangen. 

Was nicht funktioniert, ist im Angesicht von schutzlos ausgeliefertem Leid radikale Positionen einzunehmen, welche zwar das theologische Dilemma nach der Frage des Leids schnell aufheben, aber nicht die Wahrheit akkurat widerspiegeln. „Es wäre auch ohne Maske, G’s und Impfung“ gegangen, „man hätte einfach nichts tun sollen“ ist eine Fehleinschätzung der Lage vom Februar/ März 2020. Die Ausgangslage in 2020 war prekär, ungewiss, beängstigend. Die Regierung hatte gar keine andere Wahl als mit den zur Verfügung stehenden Mitteln von trial and error Lockdowns, etc. zu beschließen. Alles andere wäre fahrlässig gewesen. Das bedeutet noch lange nicht, dass die deutsche Politik alles richtig gemacht hat. Auch meine subjektive Meinung ist, dass man mit manchen Gesetzen maßlos über die Stränge geschlagen hat. Ich würde trotzdem bei der nächsten Krise meine eigene Position weniger radikal formulieren als mehr.

c) Ich würde gern bei der nächsten Krise Bibelstellen, die gegen meine Meinung sind, weniger ausblenden und mich nicht rechthaberisch auf meine selektive Auswahl berufen. Komplexe Herausforderungen der Menschheit haben selten einfache Antworten.

d) Ich würde auch für mich selbst wünschen, dass ich den anderen, der nicht meiner Meinung ist, geduldiger zuhören kann. Und ich bin froh und dankbar, dass viele meiner Freunde, die überhaupt nicht meiner Meinung sind, trotzdem echte Freunde geblieben sind!

[1] Da ich ausführlich meine eigenen Schlussfolgerungen aus der Corona Krise in den Kontrast zu dem von Peter Hahne stelle, zitiere ich den Text seines Artikels hier. Aus wissenschaftlichen Gründen, nicht weil ich die Zeitschrift empfehlen kann, ist anzumerken, dass der Artikel erschien in Demokratischer Widerstand, No. 121. 11. Februar 2021. Peter Hahne schreibt: „Eigenartig. Der Spruch steht immer noch da. Sogar in Stein gemeißelt und mit Blattgold ausgelegt. Kein woker Wahn hat ihn bisher zerstört. Keine Diversity-Demo konnte ihm etwas anhaben. Es ist das Gründungsmotto von 1457 der Universität Freiburg: »Die Wahrheit wird euch frei machen.« Jedes Mal, wenn ich im Breisgau bin, halte ich dort inne. Das war also einmal der Anspruch von Bildung und Wissenschaft in Deutschland: Die Wahrheit zu sagen und zu suchen.

Wahrheit – dieses Wort ist weder Klassik noch Humanismus, weder Philosophie noch Ideologie. Es ist biblisches Evangelium. Ein Originalzitat von Jesus Christus aus dem Johannes-Evangelium. Von einem »alten weißen Mann« also, der im Sinne des heutigen Mainstreams nichts anderes als Verschwörungstheorien und Fake News verbreitet hat: Er käme von Gott, sei sogar sein Sohn, heilte und tat Wunder – ganz ohne Abstand, Spritzenund Masken. Er berührte sogar Leprakranke. Und er posaunte in den letzten Winkel dieser Erde: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.« Er allein, sonst niemand. Was für eine verstörende Botschaft. Die delegitimiert doch das Regime. Weg damit! Solch eine Schwurbelei wollten die Herrschenden aus Kirche und Staat damals nicht dulden. Dieser Querdenker gehört ans Kreuz! Insofern handelte das Regime konsequent:Todesurteil! Heute geschieht das etwas subtiler. Da wird man »nur« denunziert, ausgegrenzt, ausgestoßen, mundtot gemacht und seiner beruflichen Existenz beraubt. Ja, und das allerschlimmste war ja wohl die Jesus-Einladung: »Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken« (Matthäus-Evangeli- um 11, 28). Alle! Dieser Mann war ja allgemeingefährlich. Kannte er denn keine Inzidenzwerte, kein Robert-Koch-Institut und keinen Gates oder Drosten? Hatte er noch nie vom »Team Vorsicht« des Herrn Söder gehört? Alle dürfen kommen, wirklich alle. Wir sortieren doch so gerne nach Freund und Feind, nach Haltung und Herkunft, nach geimpft und ungeimpft, nach Maskenarten und der Anzahl von G‘s. Ich bin froh, mich in den 50 Jahren meiner aktiven Berufskarriere auf diesen Jesus Christus verlassen zu haben. Er hat mich nieverlassen! Er, der unbeirrt vom Establishment seine Wahrheit vertreten und sogar mit dem Leben bezahlt hat. Er hat vom Ziel her gedacht und gelebt, gepredigt und gewirkt: vom Kreuz her. Und er lag völlig quer zum Mainstream. Wenn jemand wirklich Haltung hatte in der Weltgeschichte – dann dieser Jesus! Er ist Kreuz- und Querdenker.

Ohne seine Kraft hätten mich Niederlagen immer wieder niedergelegt. Vor allem die letzten drei Jahre. Ich hätte das Elend um mich herum nicht ertragen. All die Mitläufer, all die Ideologie und Korruption von Politikern, Kollegen und Kirchenleuten, die ich einst geschätzt hatte. Diese Verachtung alles Menschlichen: Wie kann man nur, fragte ich bereits Ostern 2020, Kirchen schließen? Oder Menschen ohne Trost und Beistand einsam sterben lassen? Schlimmer als den Hund. Wie kann man nur Kin- der hinter Masken zwingen und ihnen 40 Prozent des für Hirn und Herznotwendigen Sauerstoffs nehmen? Wie kann man pubertierende Jugendliche in das Homeoffice ihrer Eltern sperren? …

Wie kann man das aushalten, durchhalten und dem standhalten? Indem man sich an den hält, der konsequent seinen Weg gegangen ist. Wie zwei Jahrtausende später ein Dietrich Bonhoeffer. Der hat in Wort und Tat bewiesen, wie man das alles aus- halten kann: »Wer hält stand? Allein der, demnicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist, der Verantwortliche, dessen Leben nichts sein will als eine Antwort auf Gottes Frage und Ruf. Wo sind diese Verantwortlichen?« Ja, wo sind die heute, die Gott mehr gehorchen als den Lauterbachs, Söders oder Spahns? Die, die an der Seite ihres Nächsten bleiben in Alter und Einsamkeit in Krankheit und im Sterben?

So, wie Christen das seit 2000 Jahren tun. In Pest und Cholera, im 30-jährigen Krieg, in Stalingrad oder in den KZs. Sie waren immer nah bei den Menschen. Ohne Abstand, das gebot ihnen der Anstand. Nur in den letzten drei Jahren nicht. Eine von Gott verlassene Kirche hat den Menschen verlassen. Gottes Bodenpersonal hat versagt. Bis auf wenige mutige, rühmliche Ausnahmen, die dann jedoch von regimetreuen Gleichschritt-Marschierern gemobbt wurden. Hatten wir das nicht schon mal in der jüngeren deutschen Geschichte?

Ganze Bücher könnte ich füllen mit traurigsten Schicksalen, die mir inzwischen Hunderte gemailt haben. In meinem aktuellen Buch »Das Maß ist voll!« habe ich meinen Standpunkt klar beschrieben. Einer der führenden Hüft-Operateure Europas durfte nicht mehr ins Heim zu seiner 92-jährigen Mutter. Obwohl er als Professor alle Regeln der Hygiene und Sterilität kennt. »Sie ist an gebrochenem Herzen gestorben«, klagt der Sohn verzweifelt.Oder jene Gastwirtsfamilie: Der Senior schwer von Krebs gezeichnet. Als Sterbender steht er oben im Spital am Fenster. Unten aufgereiht dieFamilie. Kein Trostwort, kein Händehalten, keine Nähe. Verzweiflung und Tränen und ein Sterben in Isolationshaft. Was für ein Verbrechen! Der Enkel leidet bis heute darunter, hat man doch dem damals 12-Jährigen in Schule und Kirche eingebläut: »Wenn Du Opa besuchst, muss er sterben.« Under hatte ihn ja vor dem schwachsinnigen Lock- down besucht. »Wer bestraft die Verantwortlichen wegen seelischer Grausamkeit und dem Verbrechengegen die Menschlichkeit?«, fragen die Angehörigen heute.

Man schwadroniert doch heute so gerne von Haltung und Verantwortung. Widerstand wird nur gepriesen, wo es passt: Jeder Klima-Klebe-Terrorist ist nahezu heilig, wird von Kanzeln und Kathetern bejubelt, auf Synoden und in Talkshows gefeiert. Doch Kreuz- und Querdenker? Nochmal Bonhoeffer: »Zivilcourage aber kann nur auf der freien Verantwortlichkeit des freien Mannes erwachsen… Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht.« Genau das ist der Schlüssel! Jeder muss sich eingestehen, dass er in seinem Handeln zum Sünder werden kann. Auch wenn es noch so logisch erscheint und gutgemeint ist. Nur Sekten wie die »Zeugen Coronas« meinen, alles richtig zu machen.

»Wir werden einander viel verzeihen müssen«, meinte einer der Hauptverantwortlichen für alles, der CDU-Politiker Spahn. Klingt auch schönfromm. Jedoch unverantwortlich für einen Politiker! Denn wenn er das vorher schon weiß, warum handelt er dann nicht so, damit es gar nicht dazukommen muss?

Christ sollte zum Thema Verzeihen wissen: Alles ist bloße »billige Gnade« (Bonhoeffer), was nicht aus der Reue und der Buße kommt und dazu führt, »alles wieder gut zu machen.« So verzeiht Jesus ja einem aufrecht reuigen Zöllner Zachäus, und der gibt sein kriminell ergaunertes Geld vierfach (!) zurück. Ich sehe nirgendwo echte Reue über die eklatanten, mörderischen Fehler der letzten Jahre. Geschweige denn »tätige Buße«.Im Gegenteil: Bloße Rechthaberei. Bloße Rechthaberei. Noch nicht mal die Rehabilitierung der nachweisbar im Recht stehenden Kritiker der ersten Stunde.

Null! Es waren wenige, die sich widersetzten. Das war in der Geschichte nie anders. Auf die Masse zu warten, hätte mir nie das schönsteGeburtstagsgeschenk meines Lebens beschert: den Mauerfall am 9. November 1989. Leute wie Bonhoeffer standen allein. Doch unbeirrt undglaubensstark waren sie Vorbild für viele, die sich anschlossen.

Ich hätte mir in den letzten Jahren mehr Christen gewünscht, die nicht nur Bonhoeffers Spruch auf Grußkarten oder an der Wohn- zimmerwand hatten: »Von guten Mächten wunderbar geborgen…« Sondern Menschen, die beherzt und im Vertrauen auf Gott Bonhoeffers wichtigste Widerstands-Philosophie in die Tat umgesetzt hätten: »Wenn ein Wahnsinniger sein Auto über den Gehweg steuert, so kann ich als Pastor nicht nur die Toten beerdigen und die Angehörigen trösten; ich muss hinzuspringen und den Fahrer vom Steuer reißen.« Stattdessen hat man aus der guten Nachricht von Hoffnung und Leben eine Angstreligion gemacht. Selbst meine linksliberalen Kollegen wie Heribert Prantl (»Süddeutsche Zeitung«)oder Stefan Aust (»Der Spiegel«) beklagten genau das: Kirche hat nicht Angst genommen, sondern Panik gemacht. »Kirche hat uns, als wir sie amnötigsten brauchten, im Stich gelassen.« Wenige haben sich für einen anderen Weg entschieden: Demokratischer Widerstand, auch und gerade alsChristen. Ich selber habe manche Freunde verloren (die folglich nie echte waren!), jedoch unendlich viele neue gewonnen. Zu meinen Büchern undVorträgen, zu Sendungen und Interviews bekomme ich tausendfaches Echo. Dieses Gemeinsame stärkt und gibt Kraft.

Doch über allem steht, dass Gott uns nie im Stich lässt. Dass Jesus Christus uns Besonnenheit und Zuversicht schenkt. Als Kreuz- und Querdenker der Weltgeschichte gibt er seinen Nachfolgern keine leeren Versprechungen von riesigen Erfolgen mit tosenden Massen, sondern die Gewissheit mit den Worten Bonhoeffers: »Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstands- kraft geben will, wie wir brauchen.«“


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