Die Unveränderlichkeit Gottes bezieht sich auch auf Seine souveränen Absichten und Pläne. Gott „lebt nicht ziellos in den Tag hinein,“ darauf wartend, dass Menschen die Initiative in einer Beziehung mit Ihm ergreifen. Nein, Gott hat Wünsche und Pläne, die Er mit Leidenschaft zielgerichtet umsetzt. Gottes Vorsätze ändern sich nicht. Wirklich nicht? Hat Gott nicht Seine Meinung geändert, nachdem Moses Gott darum gebeten hat, das Volk nicht zu vernichten, wie Gott es eigentlich beabsichtigt hat (2 Mose 32, 14)? Wenn es Gott „gereut“ hat, dass Er Saul zum König gemacht hat (1 Sam. 15, 11, 35) heisst dies nicht, dass Gott Seine Pläne, wenn er die Zeit zurück drehen könnte, anders gestaltet hätte? Und warum kündigt er durch Jonah die Zerstörung Ninevehs an (Jon. 3, 4) und ändert dann Seine Meinung und vergibt in Gnade (Jon. 3, 10)? Hat Gott nicht Seine Meinung geändert nachdem er zwar zuerst zu Hiskiah gesagt hat, dass er in den nächsten Tagen sterben wird (2 Kön. 20, 1), aber dann nach dem Flehen des Hiskiah ihm weitere 15 Jahre des Lebens schenkt (2 Kön. 20, 5-6)?
Widerspricht sich Gott, wenn er einerseits behauptet, dass Seine Absichten unverrückbar und deren Umsetzung unaufhaltbar sind (Denn der HERR der Heerscharen hat es beschlossen, wer will es vereiteln? Seine Hand ist ausgestreckt; wer will sie abwenden? (Jes. 14, 27)) und das einfache „Betteln“ von Menschen dann doch bewirkt, dass Gott Seine Meinung ändert (2 Kön. 20)?
Um ein ausgewogenes Bild davon zu bekommen, was Gottes Beständigkeit in Bezug auf Seine Pläne bedeutet, sollte man zuerst beachten, was Gottes Unveränderlichkeit NICHT aussagt. Gottes Beständigkeit bedeutet NICHT, dass Gott emotionslos ist oder dass sich Seine Emotionen nicht aufgrund ändernder Umstände wandeln. Gott reagiert emotional auf veränderte Gegebenheiten. Gott ist gerecht zornig auf Sünde und Sünder (Jes. 5, 25); nachdem jedoch Christus die Strafe für Sünde getragen hat (Jes. 53) und das Volk zu Gott gefunden hat, empfindet Gott echte Freude an ehemaligen Sündern (Jes. 62, 4-5). Beständigkeit bedeutet eben gerade, dass Gott konsequent gleich auf moralische Werte reagiert. Er hasst immer die Sünde und freut sich immer über Hinwendung zu Ihm. Beständigkeit bedeutet unter anderem zum Beispiel dass Gott auf einen Sünder gerecht wütend ist (Röm. 1, 18) und Minuten später aufgrund des Vertrauens desselben Menschen auf Christus Gott Gefallen und Freude an dieser Person hat (Röm. 5).
Gott erlebt innerlich Gefühle und drückt nach außen entsprechend veränderte moralische Reaktionen auf veränderte Situationen aus – in dem Moment wo sie zeitlich ablaufen.
Das heisst Gott lebt NICHT außerhalb von Zeit in dem Sinn, dass alle Geschehnisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen vor Ihm präsent sind und Er diese Vorgänge in demselben Maße innerlich emotional empfindet. Als YHWH das Volk Israel aus Ägypten geführt hat, war Ihm in Seiner Vorhersehung bewusst, dass Israel Ihm nicht treu sein wird – und dennoch empfand Gott zu dieser Zeit eine Liebe zu Seinem Volk, die er mit romantischer Liebe zwischen Verliebten vergleicht (Ich denke noch an deine jugendliche Zuneigung, an die Liebe deiner Brautzeit, da du mir nachzogest in der Wüste, in einem unbebauten Lande… (Jer. 2, 2)). Diese Empfindung der Zuneigung wurde durch den kontinuierlichen Götzendienst der Israeliten zerstört (Sie aber rebellierten und betrübten Seinen Heiligen Geist; da wurde Er ihnen zum Feind und kämpfte gegen sie (Jes. 63, 10)). Gott kann in Seinen Empfindungen unterscheiden, was Erinnerungen an die Vergangenheit sind, was zukünftig geschehen wird und was Er jetzt in diesem Augenblick erlebt. Gott reagiert emotional mit den real ablaufenden Geschehnissen und empfindet die Erwartung der Veränderung einer Situation anders als die gegenwärtig tatsächlich vorhandene Situation.
Mit diesem Verständnis jetzt zu der Frage, ob Gott Seine Pläne ändert. In 1 Sam. 15, 11 wird sagt Gott über sich selbst: „Es reut mich (Hebr.: nacham), daß ich Saul zum König gemacht habe; denn er hat sich von mir abgewandt und meine Worte nicht erfüllt!“ Wenn wir dem Wort „sich reuen/ es einem leid tun/ den Sinn ändern“ das ganze Gewicht seiner Bedeutung geben, könnte man annehmen, dass Gott einen Fehler eingesteht, Saul zum König gemacht zu haben und Er im Nachhinein Dinge anders machen würde. Interessanterweise bezeichnet jedoch der Prophet Samuel nur 14 Verse später Gott als „Die Stärke Israels lügt nicht, er ändert auch nicht seinen Sinn (Hebr.: nacham); denn er ist kein Mensch, daß es ihn etwas reut (Hebr.: nacham) (1 Sam. 15, 29))! Innerhalb eines Kapitels bezeichnet sich Gott als jemand, der nicht Reue über Seine Entscheidungen zeigt und mit demselben Hebräischen Wort (nacham) Reue darüber zeigt, dass Er Saul zum König gemacht hat. Dass Gott niemals Reue über Seine Entscheidungen zeigt wird auch in einem Vers ausgedrückt, der 1 Sam. 15, 29 sehr ähnelt. In 4 Mose 23, 19 sagt Balaam über Gott: „Gott ist nicht ein Mensch, daß er lüge, noch ein Menschenkind, daß ihn etwas gereue (Hebr.: nacham). Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und es nicht halten?“ Der Kontrast ist eindeutig. So wie Menschen manchmal die Wahrheit sagen und manchmal lügen, ist es unmöglich für Gott, jemals zu lügen, denn er ist in der Eigenschaft der Wahrhaftigkeit weit über dem Menschen erhaben (siehe auch 2 Tim. 2, 13; Tit. 1, 2; Hebr. 6, 18). Parallel dazu gilt gleichzeitig für Gott, dass im Kontrast zum Menschen, den manchmal Dinge reuen und der seine Meinung manchmal ändert, dass Gott dies nie tut und nie kann. Aber was ist jetzt mit der Entscheidung, Saul zum König zu machen, über die Gott offensichtlich doch Seine Meinung geändert hat? Bruce A. Ware hat einen plausiblen Lösungsvorschlag für unser Dilemma gemacht. Er stellt fest:
„Eine bestimmte Beschreibung Gottes kann zu Recht als anthropomorph verstanden werden, wenn die Schrift gleichzeitig Gott darstellt als jemanden, der genau diese menschliche oder endliche Eigenschaft übertrifft.“1
Was Bruce A. Ware damit sagen will ist folgendes: Die Schrift benutzt manchmal Körperteile und Eigenschaften des Menschen und beschreibt damit einen Teil von Gottes Wesen, obwohl Gott nicht in allen Teilen diesem menschlichen Bild (Anthropomorphie) gerecht wird. Wenn Gott zum Beispiel Mose fragt: „Ist die Hand des Herrn zu kurz,“ will Er damit nicht aussagen, dass Gott wortwörtlich eine Hand besitzt, mit Fingern, Daumen und Fingernägel, die regelmäßig gekürzt werden müssen. Die Hand steht symbolisch für die Fähigkeit zu handeln. In dieser – und nur in dieser – Korrelation ist Gott der menschlichen Hand ähnlich. Andere Parallelen zwischen Händen und Gott sind nicht zulässig.
Wenn Gott also dargestellt wird als jemand, dessen Entscheidungen Ihn reuen (und gleichzeitig behauptet wird, dass Gott nicht wie der Mensch Dinge bereut), dann ist Gott nur in einem kleinem Teil menschlicher Reue ähnlich – und nicht in allen Aspekten. Für die Entscheidung, Saul zum König zu machen, würde dies bedeuten, dass Gott trotz weiser Vorhersehung, dass Saul versagen wird, es als die einzig beste Entscheidung angesehen hat, Saul zum König zu machen. Selbst nachdem Saul versagt, würde Gott – wenn er die Zeit zurück drehen könnte – es noch einmal so machen. Aber im Moment des Versagens des Sauls empfindet Gott dennoch Schmerz darüber, dass Saul nicht das Vorbild ist, welches Gott vom König erwartet. Beides ist also gleichzeitig wahr: in einem kleinen Teil empfindet Gott Schmwerz (wie der Mensch) über die Enttäuschung, dass Saul versagt – im großen gesehen ist Gott allerdings nicht überrascht – und Seine souveräne Entscheidung Saul als König einzusetzen empfindet Er auch in diesem Moment immer noch als richtig. Es gibt einen Unterschied zwischen Gottes weitem souveränen Blick auf Seine Entscheidungen, die Er immer für weise und richtig ansieht und Seine Empfindung innerhalb des Ablaufs der Interaktion mit Menschen.
Wenn Gott sagt, dass er Entscheidungen bereut, bedeutet dies eine echte Erfahrung, in der zeitlichen Entfaltung der Beziehungen mit Menschen, inklusive veränderter Einstellungen oder Emotionen Gottes in Bezug auf veränderte menschliche Situationen. Nur weil Gott im Voraus weiß, dass ein Ereignis eintritt, hindert dies Gott nicht daran, entsprechende Emotionen zu erleben und entsprechende Reaktionen auszudrücken, wenn diese zeitlich tatsächlich passieren.2
Hat Gott Seine Pläne geändert, als er zwar den Leuten in Nineveh angekündigt hat „Noch vierzig Tage, und Ninive wird zerstört!“ (Jon. 3, 4), aber Gott dann doch „das Übel, dass Er ihnen angedroht hatte, reute und Er es ihnen nicht antat…“? Es ist hilfreich an dieser Stelle einen Unterschied in den Plänen Gottes einzuführen zwischen a) Gottes Absichtserklärungen und b) seinen souveränen Plänen. Gottes Absichtserklärungen sind Aussagen, dass Er Dinge tun wird abhängig davon, ob die Umstände so bleiben wie sie sind. Dabei muss Gott nicht explizit erwähnen, dass die Absichtserklärung an Bedingungen geknüpft sind. Vergleiche hinken, aber es ist so ähnlich wie wenn ich meiner Tochter, nachdem sie ihre Puppe zornig umhergeworfen hat, sage: „ich zähle bis 3 und nehme dir dann die Poppie weg.“ Meine Absichtserklärung ist an Bedingungen geknüpft – auch wenn ich diese nicht explizit erwähne, weiss meine Tochter, dass ich mit meiner Absichtserklärung sagen will „wenn du weiter zornig bist, ist das Spielzeug weg.“ Meine eigentlicher Plan ist jedoch nicht, ihre Spielfreude zu verderben, sondern sie dazu zu bewegen, ihren Wut abzulegen und friedfertig weiter zu spielen.
So scheint es auch Gott mit Nineveh zu tun. Warum hat Er überhaupt Jonah erzählt, dass er nach Nineveh gehen soll und predigen soll „noch 40 Tage…“? Wenn Gott die Stadt einfach zerstören wollte, hätte er dies ohne Jonah und dessen Predigt tun können. Und warum hat sich Jonah anfangs geweigert, nach Nineveh zu gehen und ist in die entgegengesetzte Richtung gereist? Jonah hatte doch Gefallen daran, dass die Nation, die sein eigenes Volk kriegerisch bekämpft hatte, untergeht! Weil Jonah ahnte, dass es einen Unterschied gibt zwischen Gottes eigentlichen Plänen und seinen an Bedingungen geknüpften Absichtserklärungen: „Ach, HERR, ist’s nicht das, was ich mir sagte, als ich noch in meinem Lande war, dem ich auch durch die Flucht nach Tarsus zuvorkommen wollte? Denn ich wußte, daß du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und von großer Gnade, und lässest dich des Uebels gereuen! (Jon. 4, 2).“
Es scheint also so, als ob Gottes uns in der Ausführung Seiner souveränen Pläne involvieren möchte. Er hatte im geheimen immer vorgehabt, Nineveh zu retten. Deshalb beteiligt er Jonah mit der Predigt und Menschen Ninevehs mit ihrer Umkehr und „ändert“ (im engeren Sinn) seine erklärte Absicht, um Seinen eigentlichen Plan umzusetzen. Ähnlich verhält es sich mit Gottes erklärter Absicht, das Volk Israel, nachdem es das goldene Kalb angebetet hat zu vernichten. Warum hat Gott überhaupt Mose erzählt: „Ich habe dieses Volk beobachtet, und siehe, es ist ein halsstarriges Volk. So laß mich nun, daß mein Zorn über sie ergrimme und ich sie verzehre…“ (2 Mose 32, 9-10)? Offensichtlich, weil Gott von Anfang an geplant hat, das Gebet des Mose zu benutzen, um die an Bedingung geknüpfte Absichtserklärung („wenn alles so bleibt wie es ist und keiner betet“) zu „ändern,“ um Seine eigentliche, souveräne Absicht, Gnade zu zeigen, zustande zu bringen.3
Die Auswirkungen des Wissens über Gottes Beständigkeit Seiner souveränen Pläne sind gewaltig. Wir können uns sicher sein, dass Gott in der ewigen Vergangenheit Seine Pläne unveränderlich perfekt durchdacht hat. Gott muss Seine Pläne nicht anpassen, etwas weil Er nicht genügend im Voraus berechnen konnte, was passieren wird, oder weil Er unfähig ist, Seine besten Pläne umzusetzen und auf zweitrangige Hilfspläne umschwenken muss. Trotz aller Sünde, Bosheit und Schmerz ist diese Welt, die Gott regiert, in Anbetracht der Ewigkeit die bestmögliche, die Gott sich erdenken konnte. Gleichzeitig sind wir nicht nur passive Mitspieler in einer fatalistischen System – Gott benutzt unsere Reaktion auf Seine Absichtserklärungen und Seine Offenbarung im Wort Gottes, um Sein souveränes Vorhaben umzusetzen.
1 Bruce A. Ware. God’s Lesser Glory.. 2000, 86.
2 Ibid, 91.
2 Die Situation der Ankündigung an Hiskiah „Du wirst sterben“ fällt in dieselbe Kategorie. Gott wollte ein Gebet bei Hiskiah hervorrufen, durch welches er Seine Absichtserklärung „ändert“ und das eigentliche Ziel bewirkt, was Gott vorhatte: das Leben von Hiskiah zu verlängern!
Schreibe einen Kommentar