Vier Löcher im Fußboden erklären Apostelgeschichte 6

Die antike Agora von Athen mit Blick vom Metroon (Heiligtum der Meter Theoon) rechts und Tholos (Sitz der Prytaneis = Exekutivkomitee der Boulee = Senat) links in Richtung Südkomplex (Bildmitte) und Akropolis.

Unterhalb der berühmten Akropolis Athens befindet sich die antike Agora, Herzstück des öffentlichen Lebens in Athen. Hier florierte inmitten von Tempeln, Altären, Säulenhallen, Sitz des Stadtrates, der Gerichte, Einkaufsmöglichkeiten, Rednertribüne, Münzstatte, usw. die prestigeträchtige Griechische Demokratie. In der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. wurden im Süden der Agora drei neue monumentale Gebäude gebaut: Die mittlere Stoa (Säulenhalle), die südliche Stoa II und das Ostgebäude, welches die beiden Säulenhallen miteinander verbindet. Dieser sogenannte Südkomplex wurde zu antiken Zeiten als Handelszentrum errichtet und genutzt. Die beiden neuen Stoas dienten also als Marktgebäude.

Blick vom Südkomplex in Richtung Nordwesten mit Hephaisteion (Tempel des Hephaistos) im Hintergrund. Vorn der erhöhte Fussboden des Ostgebäudes. Die beiden Reihen von Säulenstümpfen im oberen Drittel des Bildes gehören zum Fundament der Mittelstoa, die zusammen mit der Südstoa den Südkomplex bilden.

Wenn der Besucher die Ausgrabungsstätte ausnahmsweise mal nicht den Blick in die Ferne schweifen lässt, sondern sich den Fußboden des Ostgebäudes ansieht, wird er etwas eigenartiges entdecken. Eingelassen in den Mosaikfußboden aus Marmorsplittern sind in regelmäßigen Abständen Marmorsockelblöcke mit jeweils 4 symmetrisch angeordneten Löchern. Ursprünglich waren es zwölf Marmorblöcke, davon sind leider nur vier erhalten geblieben. Aber wozu dienten die in jeweils 3 Metern Abstand eingelassenen Marmorblöcke und wozu sind die Einsparungen da?

Eines der ursprünglichen zwölf Marmorblöcke mit jeweils vier Einsparungen im Fußboden des Ostgebäudes.

Die Archäologen betrachten die Löcher als Einsparungen für Tische! Es waren die Tische der Bänker, die hier in regelmäßigen Abständen ihren fest zugeordneten Platz hatten. An den Tischen wickelten Geldwechsler ihre Geschäfte ab und zwar an einem – für die Besucher, die von der berühmten Panthenischen Strasse den Marktkomplex betraten – sehr bequemen Ort. Bevor der Reisende oder Athener den Einkaufskomplex betrat, musste er an den Banken vorbei. Der „antike Geldautomat“ stand also zur Versorgung mit Bargeld gleich am Eingang des Einkaufskomplexes zur Verfügung. Auch für die Banker war der Ort ideal gelegen, denn die Athener Münzstätte lag nur ein paar Schritte weiter südöstlich vom Ort des Geldwechselns. So konnten von hier aus die Bronzemünzen Athens in Umlauf gebracht werden.

Hypothetische Rekonstruktion einer Bank. Zeichnung von Yannis Nakas, Schautafel am Südkomplex der antiken Agora von Athen.

Interessant für das Neue Testament ist die Beobachtung, dass Tische (gr. trapezai) nicht nur als Esstische dienten, sondern die antiken Bankschalter waren (LSJ, 1810). Der Leser erinnert sich daran, dass Jesus die Tische der Geldwechsler (gr. trapezai toon kollubistoon) in Matt. 21, 12; Mar. 11, 15 umstieß. Auch das moderne Griechisch hat das Wort trapeza für Bankgeschäfte erhalten. Wer in Griechenland nach einer Bank sucht, findet diese, wenn er das Wort trapeza über dem Eingang eines Gebäudes sieht. 

Hauptsitz der Nationalbank Griechenlands, Trapeza Tees Hellados, in Athen.

Dass Tische mit Bankgeschäften zu assoziieren sind wirft einen neuen Blick auf Apostelgeschichte 6, wo die zwölf Apostel der Gemeinde sagen, dass sie die Verkündigung des Evangeliums vernachlässigen, weil sie, so sagt die Apostelgeschichte wörtlich „Tischen dienen“ (Apg. 6, 2). Wahrscheinlich sollte man sich dabei nicht die Apostel in Kochkittel und mit großem Löffel am überdimensionalen Kochtopf einer Suppenküche vorstellen, sondern eher bei der akkuraten Abrechnung von ziemlich umfangreichen Finanzangelegenheiten. 

Am besten schauen wir uns die Verse von Apostelgeschichte 6 im Einzelnen an.  

In diesen Tagen aber, als die Jünger sich mehrten, entstand ein Murren der Hellenisten gegen die Hebräer, weil ihre Witwen bei der täglichen Bedienung übersehen wurden. Die Zwölf aber beriefen die Menge der Jünger und sprachen: Es ist nicht gut, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und die Tische bedienen. 3 So seht euch nun um, Brüder, nach sieben Männern unter euch, von gutem Zeugnis, voll Geist und Weisheit, die wir über dieses Geschäft bestellen wollen; 4 wir aber werden im Gebet und im Dienst des Wortes verharren. 5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge; und sie erwählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochien. 6 Diese stellten sie vor die Apostel; und als sie gebetet hatten, legten sie ihnen die Hände auf. 7 Und das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger in Jerusalem mehrte sich sehr; und eine große Menge der Priester wurde dem Glauben gehorsam (Apg. 6, 1-7).

Nachdem die frisch etablierte Gemeinde zwei äußerliche Widrigkeiten (Apg. 3-4; 5, 12-42) in Form von Verfolgung und eine interne Widrigkeit in Form von Satan-inspirierter Lüge innerhalb der Gemeinde (Apg. 5, 1-11) gemeistert hat, steht in Apostelgeschichte 6 eine neue interne Herausforderung an.[1] 

Die Zahl der Nachfolger von Jesus nimmt weiter zu. Gleichzeitig wird der Leser in einen interessanten Fakt über die soziale Struktur der jüdischen Gesellschaft in Jerusalem eingeführt. Die Jerusalemer Bevölkerung besteht sowohl aus „Hellenisten“ als auch „Hebräern“. Jerusalem war seit der Eroberung Palästinas von Alexander dem Großem zu großen Teilen griechisch geprägt. In Jerusalem gab es ein Gymnasium, griechisches Theater, eine Pferderennbahn, viele Inschriften an Gebäuden waren griechisch und seit Herodes dem Großem wurde der Tempelkomplex in griechischem Baustil ausgebaut. Ein Besucher aus dem Römischen Reich kam also auch ohne Kenntnisse von Aramäisch gut in Jerusalem mit Griechisch zurecht.[2]

Viele Palästinische Juden waren zweisprachig. Die Hellenisten (gr. helleenistai, wörtlich diejenigen, die auf griechische Weise wirken) waren keine Griechen, diese würde man mit dem Wort heleenes beschreiben, , sondern Nichtgriechen, hier im Kontext also Juden, die in gewisser Weise „griechisch lebten“ und deren Muttersprache oder sogar einzige Sprache, in der sie flüssig kommunizieren konnten, Griechisch war. [3] Es waren keine temporären Besucher aus der Diaspora (contra NGÜ), sondern permanent in Jerusalem lebende Juden, die ihren Lebensmittelpunkt in Synagogen in Jerusalem hatten, in denen die Schriften des Alten Testaments in Griechisch gelesen und Gebete in Griechisch gesprochen wurden. Die sogenannte Theodotusinschrift (vor 70 n. Chr.) bezeugt uns inschriftlich das Vorhandensein solcher Synagogen in Jerusalem. [4]

Das Evangelium erreichte gleich zu Anfang beide Gruppen und so existierten in Jerusalem gewisserweise „zwei Gemeinden“: Griechisch-sprachige (Hellenisten) und Aramäisch-sprachige (Hebräer) Nachfolger von Jesus Christus. Zwischen diesen sprachlich getrennten Gruppen (die sich trotzdem als eine Gemeinde von Christusnachfolgern sahen) gab es nun Stress. Barnabas war sicher nur einer der Griechisch-sprachigen Christen – er ist ein Jude aus der Diaspora, der in Zypern sein Zuhause hatte – die Grundstücke und Ländereien verkauft hatten und enorme Summen an Spenden zu Füßen der Apostel gelegt hatten (Apg. 4, 36-37). Die Hellenisten beteiligten sich also daran, Gelder für die Versorgung der Armen zur Verfügung zu stellen, die Bedürftigen ihrer Gruppe, hier insbesondere die Witwen, wurden allerdings aus einem uns nicht bekannten Grund in der Versorgung benachteiligt. Das führte verständlicherweise zu Knatsch. 

Das Gebot, für die Witwen zu sorgen, wurde besonders in den Handlungsanweisungen für das Bundesvolk in 5 Mose hervorgehoben, wo es oft mit dem Segen des Herrn für „alle Werke deiner Hände“ verbunden wird (5 Mose 14, 29; 24, 19; 26, 12-15). In 5 Mose 27 ist einer der Flüche, auf den das ganze Volk mit Amen antwortet, der Fluch des Mannes, der der Witwe Gerechtigkeit vorenthält (5 Mose 27, 19). Die Versorgung der Witwen in Apostelgeschichte 6 steht nicht kontextlos im Raum, sondern ist eine explizite Beschreibung darüber, wie die Mosaischen Gebote an das Bundesvolk aus 5 Mose in der christlichen Gemeinde erfüllt werden.[5] In der Tat ist es eine der theologischen Hauptthesen von Lukas, dass die neue christliche Gemeinschaft das erfüllt, wozu die alttestamentliche Gemeinschaft bestimmt war, aber nie erfüllt hatte.

Die Führer des alten Gottesvolkes (Pharisäer und Sadduzäer) verschlingen der Häuser der Witwen (Lukas 20, 47; cf. Matt. 23, 14), raubten den Witwen den letzten Pfennig (Lukas 21, 1-3). Im Kontrast dazu steht die Aussage über die junge Christliche Gemeinde in der zweiten zusammenfassenden Passage der Apostelgeschichte, dass „kein Bedürftiger unter ihnen war“. Dies spiegelt den Wortlaut von 5 Mose 15, 4 wider. Im Kontext von 5 Mose 15 wird Gottes Volk versprochen, dass „kein Bedürftiger“ unter ihnen sein wird, wenn sie Gottes Segen in dem Land erfahren, das er ihnen gibt, wenn sie das Gesetz befolgen.[6]

Die Versorgung der Witwen in Apostelgeschichte 6 war deshalb von enormer Bedeutung. Es war eben nicht ein vernachlässigbarer Zweig des Christlichen Dienstes, den die Apostel sowieso von der Aufgabenliste loshaben wollte. Die gerechte Versorgung der Witwen war ein wichtiger Kernaspekt gottesfürchtiger Spiritualität. Es ging um die Integrität der ersten Kirche, ob sie wirklich mit der Nachfolge des Messias die Verheißungen des Mosaischen Gesetzes erfüllt, es ging darum, ob es endlich ein Gottesvolk gibt, welches sich um die Witwen und Weisen kümmert, die immer auf dem Herzen Gottes waren, aber über Jahrhunderte Opfer waren, anstelle umsorgt zu werden (Jes. 10, 2).

Egal ob die „tägliche Versorgung“ (Apg. 6, 1) der Witwen, der bedürftigsten sozialen Gruppe sowohl zu Zeiten des Alten als auch des Neuen Testaments in Form von Essen geschah, analog der Verteilung von Essen in jüdischer Praxis[7] oder in Form einer täglichen Verteilung von Geld,[8] das „Dienen der Tische“ (Apg. 6, 2) durch die Apostel bedeutet nicht, dass die Apostel an der täglichen Essensausgabe beteiligt waren. Nicht, weil das unter ihrer Würde von Aposteln gewesen wäre, sondern weil die tägliche Versorgung der Witwen möglich gemacht wurde aufgrund von Großspenden, welche den Aposteln zur Verfügung gestellt wurden (Apg. 2, 44-45; 4, 34-37). Das Geld, welches notwendig war, damit die Gemeinde, so wie die Apostelgeschichte beschreibt, „keinen Mangel“ hatte, wurde von den Aposteln verwaltet – die Erlöse war „zu den Füßen der Apostel“ gelegt worden (Apg. 4, 35). Das fruchtbare Land (gr. choorioon) welches für diesen Zweck von einigen Gemeindemitgliedern verkauft wurde, war im Mittelmeerraum rar und der Verkauf dieser und die Veräußerung von Häusern (Apg. 34) muss enorme finanzielle Mittel bereitgestellt haben. Für eine weise, integre und gerechte Übersicht über diese umfangreiche Finanz-Verwaltung und Transaktionen braucht man „Männer mit guter Reputation, voll Geist und Weisheit“. So schön es auch ist, auch in einer Suppenküche integre, weise und geisterfüllte Mitarbeiter zu haben, die Qualifikation „guter Ruf, voll Weisheit und Heiligem Geist“ (Apg. 6, 3) wäre für eine Essensverteilung übertrieben – für das Führen von Bankgeschäften, welche umfangreiches Vermögen verwaltet, jedoch absolut angebracht. 

Die Apostel waren mit der Herausforderung der gerechten Versorgung der Witwen in einem echten Dilemma. Nicht, weil sie der Aufgabe nicht gewachsen waren, sondern weil die Versorgung der Witwen eine so hohe Priorität einnahm. Wie bereits erläutert, waren die Weisungen der Heiligen Schrift, sich um die Witwen zu kümmern, von äußerster Wichtigkeit (2 Mose 22, 22-24; 5 Mose 14, 29; Ps. 146, 9). An dem Umgang mit den Witwen stand auf dem Spiel, ob das neue Bundesvolk Gott treu und wohlgefällig sein wird. Gleichzeitig schien es Gott nicht wohlgefällig („es ist nicht recht“ in Apg. 6, 2 kommuniziert mit dem Griechischen Wort arestonden Sinn „nicht recht vor Gott“), die Berufung Gottes zur Verkündigung des Evangeliums zugunsten der Versorgung der Witwen zu vernachlässigen.

Die Lösung ist der Vorschlag und die Akzeptanz der Gemeinde von sieben fähigen Männern, welche von nun an die Finanzgeschäfte, die zur Versorgung der Witwen notwendig ist, führen. Alle sieben haben griechische Namen. Das in sich selbst beweist noch nicht, dass alle sieben selbst Hellenisten sind, da sie für die bisher benachteiligte Gruppe der Hellenisten eingesetzt werden, macht dies jedoch sehr wahrscheinlich.[9] Nikanor (Apg. 6, 5) ist noch nicht mal ein gebürtiger Jude, sondern ein Grieche, der sich zum Judentum bekehrt hatte. Der Vorschlag der Apostel und die Akzeptanz der ganzen Gemeinde (Hellenisten und Hebräer gleichermaßen), sieben Hellenisten für das „Hellenistische Problem“ einzusetzen ist einzigartig. Hätte man nicht eher eine Delegation der Verantwortung an einen Apostel erwartet, der ein autoritäres Machtwort spricht? Oder an ein ausgewogenes Konzil von Männern, halb Hellenisten, halb Hebräer, so dass keiner benachteiligt wird? Dass die ganze Gemeinde, inklusive des wahrscheinlich größeren Teils an Hebräern, mit der Wahl der sieben Hellenisten zufrieden ist, ist wiederum dem Wirken Gottes zuzuschreiben. Lukas verwendet in Apostelgeschichte 6, 5 „die Rede gefiel“ der Menge, wiederum das Griechische Wort areston, welches er schon in Apg. 6, 2 verwendet hatte „es ist (Gott) nicht wohlgefällig…“. Die Implikation ist, dass die Jünger Gefallen am Vorschlag der Apostel hatten, weil sie erkannt haben, dass dies der Wille Gottes ist.[10]

Die Berufung von sieben fähigen Männern, die anspruchsvollen Aufgaben der Finanzgeschäfte der Gemeinde zu übernehmen, war nicht nur ein kluger Schachzug der Apostel, die sich selbst eine kluge Lösung ausgedacht haben. Das Lösen der internen Probleme der Gemeinde ist dem Wirken Gottes durch den auferstandenen Christus zuzuschreiben. Apostelgeschichte 6, 1-7 ist inhaltlich parallel Apostelgeschichte 5, 1-11. In letzterer Passage wird das erste interne Problem der Gemeinde gelöst. Obwohl der Apostel Petrus derjenige ist, durch den die Lügen von Ananias und Saphire aufgedeckt werden, will natürlich Apostelgeschichte 5 nicht so gelesen werden, dass das lügende Ehepaar durch die Apostel getötet wurden oder es ein außergewöhnlicher Zufall war, dass die beiden – ausgerechnet als sie der Lüge gegen den Heiligen Geist überführt werden – tot umfallen. Es war Gott, der durch den regierenden Christus zu seiner Rechten, Ananias und Saphira umbrachte. Das steht zwar so nicht explizit im Text, wird aber vom Leser erwartet, dass er dies von recht einfacher Logik aus dem Textfluss der Apostelgeschichte ableitet. Ähnlich will Apostelgeschichte 6 gelesen werden. Das Vorhandensein von sieben Männern, die voll Heiligen Geistes sind, kann nur dem Wirken desjenigen zugeschrieben werden, der allein die Fähigkeit hat, Menschen mit dem Heiligen Geist zu füllen. Es wird vom Leser erwartet, dass er wie selbstverständlich merkt, dass wieder einmal der auferstandene Christus in Apostelgeschichte 6 am Wirken ist. 

Dass der erhöhte Christus sieben Männer voll Geist und Weisheit für die Gemeinde zur Verfügung stellt, die ausgerechnet auch noch alle mit Namen aufgeführt werden, ähnelt der Begebenheit in 2 Mose 35, 30-35, wo Gott durch Mose zwei Männer beruft und mit Weisheit und Heiligem Geist ausstattet, um die Stiftshütte handwerklich zu bauen. Auch dort werden die Männer Bezalal, der Sohn Uris und Oholiab, der Sohn des Ahisamach namentlich genannt. Eventuell besteht eine beabsichtigte Parallele, dass zu Anfang der Formierung des Gottesvolkes (in 2 Mose ist Gott gerade mit seinem Volk den Bund am Berg Sinai eingegangen) die Männer bereitstellt, die für das Kommen seines Reiches notwendig sind. 

Warum muss man die Apostelgeschichte mit den Problemen der ersten Gemeinde füllen?

Nachdem der Leser sich in einige Detailfragen eingearbeitet hat, ist es notwendig, den großen Blick aus der Ferne auf Apostelgeschichte 6 zu werfen. Warum ist diese Passage überhaupt in Lukas‘ Werk? Wen interessieren die Probleme der ersten Gemeinde, wenn man den Platz hätte sparen können für weitere Heldengeschichte der Apostel oder ausführlichere Lehre über den Heiligen Geist?Die Passage erfüllt einen wichtigen Zweck in der großen Absicht, warum Lukas sein Doppelwerk Lukas-Apostelgeschichte geschrieben hat. Sein Hauptziel war apologetisch. Er wollte Theophilus (und allen andere Lesern nach ihm) aufzeigen, dass die Augenzeugenberichte aus Lukas und Apostelgeschichte keinen anderen Schluss zulassen, als mit fester Sicherheit zu erkennen, dass Christus in seinem Wirken die Verheißungen des Alten Testamentes erfüllt (Lukas 1, 1-4). Auch die Hauptintention von Apg. 6, 1-7, ist, dass man den auferstandenen Christus bei seinem Wirken zusieht.

Apostelgeschichte 6, 7 „Und das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger in Jerusalem mehrte sich sehr…“ ist der Abschlusssatz des ersten Teils der Apostelgeschichte (Apg. 1, 1 – 6, 6). Vier weitere Abschlussätze folgen den jeweils strategischen Abschnitten in der Apostelgeschichte (Apg. 9, 31; 12, 24; 16, 5; 19, 20). Apostelgeschichte 6, 7 rundet somit zwar nicht nur Apostelgeschichte 6, 1-6 ab, sondern die ganzen ersten sechs Kapitel. Jedoch gehört Apg. 6, 1-6 zur rhetorischen Strategie dieses Abschnittes. Dass das Wort Gottes wuchs und die Jünger sich mehrten ist ausnahmslos dem Wirken des auferstandenen Christus zuzuschreiben. Es ist der Herr, also der auferstandene Herr Jesus, „der täglich hinzutat, die gerettet werden sollten“ (Apg. 2, 47). In Apostelgeschichte 6, 1-6 soll der Leser vorrangig das Wirken des Auferstandenen Christus sehen. 

Wie kann es gelingen, dass die Apostel Zeuge von Christus sind „sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde…“ (Apg. 1, 8) und die Gemeinde das charitative Ideal des Alten Testaments für die Schwachen da zu sein gleichzeitig erfüllt? Aus menschlicher Perspektive war das im Moment von Apostelgeschichte 6, 1 nicht möglich. Die Reder der Apostel und die Einsetzung von sieben fähigen Männern, die wichtigen Finanzgeschäfte und damit die Versorgung der Witwen zu übernehmen, waren aber ultimativ nicht die Taten der Apostel, sondern die Taten des auferstandenen Christus durch die Apostel.[11] In Apg. 6 sehen wir Christus zu, wie er die Herausforderungen der Gemeinde löst und wir Christus in der Gemeinde sowohl das Mandat des Alten Testaments der Versorgung der Witwen als auch die Verbreitung des Glaubens voran treibt. Aus der apologetischen Perspektive von Lukas soll der Leser zuschauen, was passiert und sich fragen, wie dies möglich ist. Also Antwort bleibt nur übrig, dass Christus tatsächlich auferstanden ist, zur Rechten Gottes sitzt und von dort aus die Geschicke seiner Gemeinde lenkt. 

Was wir dennoch aus Apostelgeschichte 6 lernen können?

Auch wenn die Hauptabsicht von Apostelgeschichte 6 den Glauben an den Auferstandenen Christus verteidigen und festigen will, können wir wichtige Impulse für das heutige Gemeindeleben lernen. „An Tischen dienen“ (Apg. 6, 2) war im ersten Jahrhundert keine belanglose Nebensächlichkeit. Es war sowohl aus der Perspektive des Alten Testaments (Erfüllung des charitativen Mandats Gottes) als auch mit dem Blick des griechisch-Römischen Hintergrundes (Management von umfangreichen Finanzen) eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe mit hoher Priorität. Und dennoch wussten die Apostel, dass es vor Gott nicht wohlgefällig ist, wenn die Anstrengung um die Ausbreitung des Evangeliums darunter leiden, wenn die Verkündiger der guten Nachricht sich von der notwendigen Finanzverwaltung und Witwenversorung ablenken lassen. Ohne das eine zu vernachlässigen, mussten die Prioritäten klar gesetzt werden: die Ausbreitung des Evangeliums durch Gebet und Verkündigung der Botschaft hatte ganz klar Vorrang. Sollten unsere Gemeindeaktivitäten nicht eine ähnliche Priorisierung erfahren? Die vier Löcher im Fußboden der Agora Athens erinnern uns daran, dass der Ausbreitung der Botschaft größere Priorität eingeräumt wurde als den ehrenwertesten und verantwortungsvollen Aufgaben des Gemeindealltags.


[1] Alan Thompson, The Acts of the Risen Lord Jesus, 164, Fußnote 66.

[2] Siehe Martin Hengel, Zum Problem der „Hellenisierung“ Judäas im 1. Jahrhundert nach Christus.

[3] F. F. Bruce, The Acts of the Apostles, 181.

[4] CIJ 1404, Adolf Deismann, Licht aus dem Osten, 439-41 und weitere Referenzen in F. F. Bruce, The Acts of the Apostles, 181.

[5] Alan Thomson, The Acts of the Risen Lord Jesus, 180.

[6] Ibid.

[7] Darell Bock, Acts in ECNT, 257-58; David Peterson, The Acts of the Apostles in PNTC, 230; Joachim Jeremias, Jerusalem in the Time of Jesus, 126-34.

[8] F. F. Bruce, The Acts of the Apostles, 182.

[9] David Peterson, Acts in PNTC, 234.

[10] Ibid.

[11] Siehe das gleichnamige Buch von Alan Thompson The Acts of the Risen Lord Jesus.


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